heute in bremen: Geboren in Auschwitz
„Kindheit in Auschwitz“: Lesung mit Alwin Meyer, Uni Bremen, Großer Hörsaal HS 2010, 19 Uhr, Einlass 18.30 Uhr.
Alwin Meyer: „Vergiss deinen Namen nicht – Die Kinder von Auschwitz“, Steidl, 760 S., 38,80 Euro
Als Alwin Meyer Anfang der 1970er-Jahre als junger Erwachsener nach Auschwitz fährt, schockieren ihn vor allem die Fotos der Kinder. In Meyers Schulzeit war der Holocaust kein Unterrichtsstoff. Dass im Vernichtungslager überhaupt Kinder waren, wusste er bis dahin nicht.
Heute ist sicher, dass mindestens 132.000 Kinder und Jugendliche in Auschwitz interniert waren, nur 750 hat die Rote Armee befreien können. Und in den Monaten darauf sind weitere gestorben: infolge von Unterernährung, Krankheiten – oder weil sie sich suizidierten. Aber auch, wer das Lager körperlich überlebt hat, war gebrochen. Einige kannten ihre Namen nicht, wussten nicht, woher sie stammen oder wer ihre Eltern sind. Sie wurden in den Ortschaften in der Nähe von Pflegeeltern aufgenommen und begannen dort langsam ein neues Leben. Das hat Alwin Meyer in Auschwitz gelernt und sich auf die Suche nach diesen Kindern begeben.Nun, Jahrzehnte später, hat er ein Buch darüber geschrieben: „Vergiss deinen Namen nicht – Die Kinder von Auschwitz“. Dass er bescheiden die Stimme senkt, wenn er es „mein Lebenswerk“ nennt, ist angesichts seiner Leistung völlig unnötig. 80 der überlebenden Kinder hat Meyer gefunden und persönlich kennengelernt. Mit einigen hat er lange Interviews geführt, teils mehrfach über die Jahrzehnte.
Nur zwei Kapitel seines 700 Seiten starken Buches behandeln ausdrücklich die Ermordung von Kindern und Säuglingen. Und auch wenn sie in ihrer Drastik selbst gemessen an anderen Lagerberichten unerträglich sind, ist das eigentliche Verdienst des Buches ein anderes. Meyer beginnt nicht mit dem Holocaust, sondern erzählt zunächst die Biografie von glücklichen Kindern – bevor die Deutschen kamen. Und es endet auch nicht mit der Befreiung. Der Junge Kola etwa, der bei Pflegeeltern in der Nähe von Auschwitz untergekommen ist, hatte keine Erinnerung an den Lagerhorror und begann erst als Jugendlicher, nach der tätowierten Nummer auf seinem Arm zu fragen. Heimlich hat er sich zum Lager geschlichen, wo ehemalige Häftlinge lebten, um die heutige Gedenkstätte aufzubauen. Für viele Kinder hat hier eine Suche nach Identität begonnen, die sich – wie Meyer dokumentiert – bis in die Enkelgenerationen fortsetzt. Manche Kinder haben ihre leiblichen Eltern nach Jahren wiederfinden können, bei ihnen geblieben ist fast keiner. Jan-Paul Koopmann
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