Der Preis der Zivilcourageist oft hoch

Whistleblower sind wichtig, um Missstände aufzudecken – gelten aber häufig als „Denunzianten“

Von Tanja Tricarico

Der November 2016 hat sein Leben komplett verändert. Damals hatte Martin Porwoll ausreichend Beweise gesammelt, um Anzeige bei der Staatsanwaltschaft zu erstatten. Sein Verdacht: Sein damaliger Chef, ein Apotheker in Bottrop, hatte für Patienten individuell zusammengestellte Therapien gestreckt. Teilweise waren in den Präparaten überhaupt keine Wirkstoffe mehr erhalten.

Für Porwoll gab es keine Alternative, als sich an die Staatsanwaltschaft zu wenden: „Alles andere kam für mich nicht infrage.“ Vermutlich sind mehrere Tausend Patienten betroffen. Die Staatsanwaltschaft vermutet einen Abrechnungsbetrug von rund 56 Millionen Euro.

Für seinen Mut wurde Porwoll am Freitag mit dem Whistleblower-Preis ausgezeichnet. Aber beruflich sei er „verbrannt“, sagt er. Zwei Tage nach der Festnahme seines Chefs bekam er die Kündigung, und bis heute hat der Volkswirt keine neue Anstellung gefunden. „Dass das Erwerbsleben versaut ist, gehört wohl zu einem Whistleblower dazu.“

Hinweisgeber sind oft Schlüsselfiguren, um Missstände aufzudecken. Durch Whistleblower wurden Fleischpanschereien aufgedeckt, Zustände in Altenheimen angeprangert oder Steuerflucht öffentlich.

Die Finanzaufsicht Bafin hat eine eigene Hinweisgeberstelle eingerichtet, über die Informationen anonym eingereicht werden können. In etlichen Unternehmen gibt es Hotlines und Meldesysteme. Großunternehmen haben oft sogar eigene Compliance Manager oder externe Ombudsleute.

Doch obwohl Wirtschaft und Gesellschaft von den Whistleblowern profitieren, müssen diese große Risiken auf sich nehmen. „Wer Missstände öffentlich macht, wird in Deutschland allein gelassen“, sagt Porwoll. Er wünscht sich beratende Unterstützung – und einen Hilfsfonds. Nach der Enthüllung folgte für ihn die finanzielle Ungewissheit.

„Hinweisgeber nehmen oft erhebliche persönliche Risiken für das Gemeinwohl in Kauf“, sagt auch Edda Müller, Vorsitzende von Transparency Deutschland. Sie müssten mit dem „Stigma des Denunzianten“ leben.

Dieses Stigma wird durch den Prozessverlauf oft noch verstärkt. Richter müssen zwischen der Wahrung von Geschäftsgeheimnissen und der Veröffentlichung von Missständen abwägen. Bleiben die Vorfälle geheim, erscheinen die Whistleblower erst recht wie Denunzianten. Müller fordert daher einen eindeutigen arbeitsrechtlichen Schutz für Whistleblower.

In wenigen Tagen muss Porwoll erneut vor Gericht aussagen. Wann der Prozess zu Ende sein wird, ist unklar. Dennoch: Er würde sich immer wieder genau so entscheiden.