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Allah zeugt keine Kinder

Der Psychoanalytiker Fethi Benslama untersucht das Unbehagen in der muslimischen Kultur und stößt in der Urerzählung des Islam auf die Frau als Quelle der Angst

Der Islam – eine „genealogische Wüste“? Foto: Christian Jungeblodt/laif

Von Edith Kresta

Was im Unbewussten fortwirkt, unterwirft das Leben der Menschen seiner Herrschaft.“ Ausgehend von dieser Grundthese fragt der Psychoanalytiker Fethi Benslama, wie die Freud’sche Reli­gions­kritik zum Islam steht beziehungsweise „Wie der Islam die Psychoanalyse auf die Probe stellt“, so der Untertitel seines Buches „Psychoanalyse des Islam“. Ein theoretisches, schwieriges, dennoch spannendes Buch, das sich mit den biblischen Erzählungen und der Entstehungsgeschichte des Korans genauso auseinandersetzt wie mit der Zäsur der Moderne, beispielsweise durch die „Satanischen Verse“ von Salman Rush­die als Subversion der traditionellen Erzählung.

„Wenn die moderne Zäsur der Identifikation überhastet und ohne die dazugehörige Kulturarbeit stattfindet, führt das zur Verzweiflung durch den Verlust der unbewussten, individuellen und kollektiven Verankerung“, schreibt Benslama. Dieses Unbehagen an einer zwischen Tradition und Moderne zerrissenen Kultur sei die aktuelle Krise im Islam.

Der Islam spielte für Freud keine große Rolle. Und die muslimische Welt verweigert sich bis heute der Psychoanalyse, der Übergang von der göttlichen Seele zum Unbewussten wird weitgehend mit Atheismus gleichgesetzt. Freud hielt den Glauben für eine illusionäre Konstruktion des kindlichen Menschen, in der Gott als Vaterfigur idealisiert wird, die Schutz geben soll. Im Islam aber, sagt Benslama, werde Gott nicht als Vater gesehen, er ist fern, und die Menschen verstünden sich nicht als Gottes Kinder. Unter den 99 schönen Bezeichnungen für Gott im Koran wird nirgends das Wort „Vater“ genannt.

Fethi Benslama: „Psychoanalyse des Islam“. Aus dem Franz. v. Monika Mager u. Michael Schmid, Matthes & Seitz, Berlin 2017, 352 S., 30 Euro

Der Mensch ist im Islam kein Kind Gottes. Stattdessen sagt der Koran: „Gott ist nicht gezeugt und zeugt nicht.“ Es ist keine Abstammungslinie zwischen Gott und Mensch möglich. Eine göttliche Zeugung, wie etwa bei Jesus, wäre im Islam unvorstellbar. Der Islam lässt den Menschen in einer „genealogischen Wüste“.

Damit widerspreche der Koran den Thesen Freuds. Nicht der Vatermord sei die Urszene der Kultur, sondern die Verdrängung des Weiblichen, behauptet Benslama. „Diese Untersuchung hat mich, ohne dass ich es vorher geplant habe, schrittweise und unaufhaltsam zum Schicksal der Frau, des Weiblichen und der Weiblichkeit in den Verdrängungsprozess geführt, die der symbolischen und institutionellen Struktur des Islams zugrunde liegt.“ Benslama identifiziert die weibliche Andersartigkeit, das weibliche Begehren als „Nervenzentrum der Verdrängung“ bei der Urerzählung des Islams. Weiblichkeit als der Horror schlechthin.

Indem der Islam die kindliche Gottesvorstellung verneint, verlangt er etwas, das den psychologischen Bedürfnissen der Menschen zuwiderläuft. Er setzt voraus, dass der Mensch sich von einem infantilen Bedürfnis befreit. Damit werde der Islam „zu einer sehr abstrakten Religion“. Ein ferner, abstrakter Gott gebe dem Menschen die Freiheit, auf der Erde zu tun, was er will. In dieser Freiheit stecke auf der einen Seite Willkür, auf der anderen Seite große Verantwortung. „Diese Sichtweise war traditionell im Islam sehr stark ausgeprägt und äußert sich in einer extrem der Welt zugewandten Auslegung der Religion“, schreibt Benslama.

Grundlegend träfe aber auf den Islam zu, was auf jede Religion zutrifft: Freud nennt den Glauben eine Illusion, eine Konstruktion – als eine Antwort auf das, was Freud die Verzweiflung des verlassenen Kindes nennt. Religion bietet eine Linderung dieser Verzweiflung, indem sie Erlösung aus der Verlorenheit verspricht. „Deshalb sind die religiösen Instanzen so mächtig, weil das Schutzschild ihrer Illusion gegen die Verzweiflung näher am emotionalen und körperlichen Charakter der menschlichen Existenz sind.“

Nicht der Vatermord sei die Urszene der Kultur, sondern die Verdrängung des Weiblichen

Der Psychoanalytiker Fethi Benslama ist hierzulande durch sein Buch „Der Übermuslim“ bekannt. Er analysiert darin die Radikalisierung junger Dschihadisten. Bensalma wurde in Tunesien geboren und lehrt heute an der Diderot-Universität in Paris. Er gehört zu einer Generation von TunesierInnen, die einen gewaltigen Modernisierungsprozess ihrer Gesellschaft durch Habib Bourguiba in den 1960er Jahren erlebten. Kern davon war eine rechtliche Gleichstellung der Frau, von der das Land bis heute profitiert.

„Meine Analyse“, schreibt Beslama im Vorwort, „will die ursprüngliche Äußerung (mythologische Urszenen) mit der Problematik des männlichen Narzissmus verknüpfen und versuchen, seine Sackgassen und seine Gewalt aufzuklären“. Das ist nicht nur spezifisch für den Islam: „Es ist die zentrale Herausforderung der Kulturarbeit im Monotheismus.“ In einem Interview sagt Benslama, das verdrängte Weibliche sei auch in muslimischen Gesellschaften unwiderruflich in die Welt gekommen. Diese Entwicklung sei auch im Islam nicht zurückzudrehen. Der Geist ist aus der Flasche. Für Benslama ein Grund für Optimismus.

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