Jan-Paul Koopmann
Popmusik und Eigensinn
: Der Neue auf der Old School

Foto: kms

Dass Marteria den Deutschrap aufpoliert oder gar gerettet habe, wie es gern heißt, ist bestimmt richtig – und falsch wie nur was. Wahr ist: Er hat einen um die Jahrtausendwende verloren gegangenen Faden wieder aufgenommen und gekonnt weitergesponnen. Und er hat damit mehr Erfolg als seine großen Vorbilder ihn je hatten – gehört überhaupt mit einer ehemaligen Spartenmusik zu den größten deutschen Popacts.

Das ist so, weil Marteria sein Handwerk beherrscht, treffsicher reimt auf tatsächlich fetten Beats (sagt man das noch?), hübsch eingängigen Synthies und mit Texten, die was zu sagen haben: Nächte durchfeiern, ist so ein Thema. Es nicht mehr zu machen, weil man doch langsam alt wird, ein anderes. Aber es geht auch um Geld, Liebe, Widersprüche, die Schönheit der Welt und ihre Abgründe. Und ums Kiffen natürlich. Und wenn dann so ein Jan Delay kommt und sagt, nur Dank Marteria hätten seine Beginner Lust aufs Comeback bekommen, dann ... Tja, dann kann der sich mit Recht freuen.

An solchen alten Helden berauscht sich nun auch Materia: Die Old School, Heidelberg, Advanced Chemistry, Stieber Twins und so weiter – Rapper also, die entscheidende fünf bis zehn Jahre älter sind als Marteria und um die sich die Szene (vom obligatorischen Torch-Diss abgesehen) heute kaum noch schert. Marteria aber hält sie in Ehren und klingt dabei musikalisch um Längen besser als seine Vorbilder.

Nur kommt er eben einfach zu spät. In den 90ern hat der Deutschrap sprechen gelernt – klingt pathetisch, war aber so. Da kamen denkende Jungs auf die Bühne (Frauen erst etwas später) und spielten rum: Selbstinszenierung jenseits der in Deutschland etablierten Schubladen, tiefschürfende Sinnsucherei und bei aller Wut auch mit Lust auf die sinnlose Pose. Und weil’s ihnen eh keiner abgenommen hat, war auch das andauernde Geprolle gar nicht so schlimm. Ein letztes Reservat widerspenstiger Pop-Kultur mitten in einem wiedervereinigten Deutschland, das gerade im schlechtesten Sinne zu sich kam.

Marteria spielt am Freitag, 1. 12., um 20 Uhr in der ÖVB-Arena

Strahlemann Marteria verkrampft sich nicht, sondern macht ganz locker aus dem Handgelenk auf Früher. Und es macht ja auch irgendwie Spaß, das alles mal wieder zu hören, man muss ja heute schon froh sein, wenn heute mal einer „ich“ statt „wir“ sagt. Im ausverkauften Stadion noch dazu! Nur hält das eben nicht besonders lange und nach zwei, drei Songs ist gute Laune dann ja doch: eine ziemlich öde Angelegenheit.