Ein linker Antidogmatiker

In Italien trat Henze der Kommunistischen Partei bei

Man hat ihn oft als eine Art verspäteten Romantiker wahrgenommen. Und tatsächlich stand der Komponist Hans Werner Henze vollen Orchesterklängen und lyrischer Melodik offen gegenüber. Mit dieser Vorliebe war der am 1. Juli 1926 in Gütersloh geborene Henze im ideologisch angespannten Klima der Nachkriegsmoderne zunächst eine potenzielle Außenseiterfigur.

Der ästhetische Mainstream bevorzugte damals andere künstlerische Mittel. Kollegen wie Karlheinz Stockhausen, Luigi Nono oder Pierre Boulez wollten nach dem Zivilisationsbruch des Nationalsozialismus mit streng reglementierten Verfahren wie der seriellen Technik eine neue Musik schaffen, die zugleich neue Menschen erziehen (helfen) sollte.

Henze hingegen lehnte es ab, sich einer „Schule“ anzuschließen. Er zeigte sich verschiedenen Stilen gegenüber aufgeschlossen und hatte besonders mit Bühnenwerken wie seiner komischen Oper „Der junge Lord“ von 1964, zu der die befreundete Schriftstellerin Ingeborg Bachmann das Libretto schrieb, große Erfolge. Doch auch wenn er dabei traditionelles Material wie Kinder- und Volkslieder verwendete, diente ihm die Musik stets zur Gesellschaftskritik.

In Italien, wo er seit 1953 in der Nähe von Rom lebte, trat Henze der Kommunistischen Partei bei. Politisch stark von seinem Freund Rudi Dutschke beeinflusst, bekannte er sich zu Klassenkampf und Sozialismus. 1969 nahm er einen Lehrauftrag in Havanna an und dirigierte dort die Uraufführung seiner dezidiert antibürgerlichen „Sinfonia N. 6“. Bis ins hohe Alter blieb Henze bei seiner engagierten linken Haltung.

Henze, der aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammte, empfand den klassischen Musikbetrieb stets als elitär, was er mitunter am eigenen Leib zu spüren bekam: Als 1957 bei den Donaueschinger Musiktagen seine „Nachtstücke und Arien“ uraufgeführt wurden, verließen Boulez, Nono und Stockhausen demonstrativ den Saal.

Heute gilt Henze längst als einer der wichtigsten deutschen Komponisten des 20. Jahrhunderts. Er hatte zuletzt am Samstag in der Dresdener Semperoper der Aufführung seines Werks „Das Vokaltuch der Kammersängerin Rosa Silber“ beiwohnen wollen. Dazu kam es nicht mehr. Henze ist am Nachmittag desselben Tags im Alter von 86 Jahren gestorben.

TIM CASPAR BOEHME