Demonstrativ selbstbewusst

Auf ihrem Berliner Parteitag lecken die Grünen ihre Wunden und geben sich als vernünftige und verantwortungsvolle Opposition. Glücklich mit der Situation ist indes niemand

Grünen-­Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt auf der Bundesdelegiertekonferenz, im Hintergrund ein eher stiller Teil ihrer „Wilden 14“ Foto: Kay Nietfeld/dpa

Aus Berlin Ulrich Schulte

Ein bisschen Selbstbeweihräucherung muss sein nach diesen anstrengenden Wochen. Grünen-Fraktionschefin Kat­rin Göring-Eckardt dankt jedem Einzelnen aus dem Sondierungsteam „Die wilde 14“ nennt sie sie. Gruppenfoto, Geschenkkörbe mit Orange, Apfel und Schokolade, Standing Ovations. Dazu der Soundtrack der 80er-Jahre-Actionserie „Das A-Team“, als hätten sie sich alle gerade aus einem Hubschrauber abgeseilt.

Cool und zukunftszugewandt, das sei nicht die FDP, hat Göring-Eckardt kurz zuvor in die Berliner Industriehalle gerufen. Das seien die Grünen. „Geht raus und versteckt euch nicht!“ Die Delegierten, die am Samstag auf dem Grünen-Parteitag des Jamaika-Aus analysieren, jubeln dankbar. Seele streicheln kommt gut gerade.

Eine seltsame Mischung aus Trotz und Melancholie liegt in der Luft. Die Grünen sind stolz auf das Erreichte, auf die Geschlossenheit während der harten Sondierungen mit Union und FDP, die Anerkennung in der Öffentlichkeit, die guten Umfragewerte. Aber sie wissen, dass nun wohl wieder vier harte Oppositionsjahre auf sie zukommen. Kleinste Fraktion, wenig Redezeit, eingeklemmt zwischen Linkspartei, FDP und AfD. Schön ist das nicht, wenn man sich kurz davor wähnte, mitregieren zu können.

Die Parteispitze müht sich, den Schalter umzulegen und wieder in die Offensive zu kommen. Dazu gehört, die eigenen Erfolge maximal herauszustellen. „Knüppeldick waren die Verhandlungen“, ruft Özdemir auf der Bühne. Er erzählt von dem Paket, dass sich für den Klimaschutz andeutete. Auch im Kampf gegen Kinderarmut habe es relevante Verbesserungspläne gegeben.

Wem die Grünen die Schuld am Tod von Jamaika geben, ist klar. Wenn Christian Lindner Kompromisse für eine Demütigung halte, „dann fehlt es ihm an Demut vor Aufgaben, die manchmal größer sind als man selbst“, röhrt Özdemir. Auch eine Idee, wie die Grünen daraus Kapital schlagen können, liefert er. „Lasst uns zugehen auf diejenigen, die sagen, ihr habt uns ­beeindruckt bei diesen Son­die­rungen.“

Özdemir klingt selbstbewusst, der Jubel in der Halle auch. Die allermeisten hier sehen es so: Die Sondierungen für ein Jamaika-Bündnis, die die FDP am vergangenen Sonntag abbrach, haben den Grünen Respekt verschafft. Sie liegen in Umfragen bei komfortablen 12 Prozent. Das Problem ist nur: Die neue Stärke hilft ja nicht viel, wenn man nicht gestalten kann.

Zwar beschließt der Parteitag, dass die Grünen gesprächsbereit bleiben – und sich auch an einer Minderheitsregierung beteiligen würden. Doch führende Grüne wetten auf eine neue Große Koalition. Ihr Eindruck sei, dass die SPD nach acht Wochen Opposition wieder in den Schoß der Kanzlerin zurückkehre, sagt Parteichefin Simone Peter.

„Geht raus und versteckteuch nicht!“

Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt

Allen schwant, dass die Si­tua­tion nicht wirklich lustig ist. Die Bundestagswahl hat einen Rechtsrutsch in der Republik dokumentiert. Und die Sondierungen mit Lindners FDP haben die Grünen noch einmal ernüchtert. Jürgen Trittin vermisst in seiner Rede die politische Landschaft neu. Die FDP wolle nicht mehr gestalten, sondern rechts von der Union Stimmen einsammeln. „Die FDP Christian Lindners ist eine rechte bürgerliche Protestpartei.“ Entsprechend, folgert Trittin, müssten die Grünen die Große Ko­alition progressiv und von links unter Druck setzen. So wie er sehen das viele, gerade im linken Flügel. Zahm, angepasst und freundlich, so wirkten die Grünen zu oft in den vergangenen vier Jahren. Beim Werben um die bürgerliche Mitte vergaßen sie schon mal, dass die Opposition auch eine beliebte Kanzlerin scharf kritisieren kann.

Die mit Spannung erwartete Abrechnung mit den Deals der Jamaika-Verhandler bleibt weitgehend aus. Die Grüne Jugend gibt vernünftig und routiniert ihre Kritik zu Protokoll: Bei der Flüchtlingspolitik seien die Sondierer weit über die Schmerzgrenze hinausgegangen.

Nur der Berliner Kreisverband Friedrichshain-­Kreuzberg schert aus. Canan Bayram, die direkt gewählte Abgeordnete des Berliner Bezirks, argumentiert, dass es in einem Jamaika-Bündnis bei Themen wie Mieterschutz, Gleichstellung oder Queerpolitik vier Jahre Stillstand gegeben hätte. Ausgerechnet Jürgen Trittin, der linksgrüne Kämpe, pulverisiert Bayrams Vorwurf in einer Gegenrede. Er verweist auf Erfolge und die taktische Situation. „Außerhalb von Friedrichshain-Kreuzberg sind CDU und CSU keine Splitterparteien“, sagt er. Die Kreuzberger Revolte scheitert grandios.