Ein Mann für Lübeck: Das Gesetz der Abodriten
Jan Lindenau (SPD) wird neuer Bürgermeister von Lübeck. Seit dem 9. Jahrhundert hat an Trave und Schwartau keine Frau geherrscht.
Unwissentlich hat er sogar selbst für den festlichen Rahmen seiner Inthronisierung gesorgt: „Wir haben seinerzeit den Antrag gestellt, das Jubiläum zu begehen“, sagte Lindenau am Montag der taz. Seine Kandidatur war damals noch nicht in Planung. Und zum Feiern gibt die Stichwahl auch kaum Anlass: In Willy Brandts Geburtsstadt beteiligten sich nur 57.614 der 176.506 im Verzeichnis registrierten BürgerInnen darank, das ist nicht einmal ein Drittel. Mehr als zwei Prozent davon hatten ungültig gestimmt. „Das ist ein klares Indiz dafür, dass es eine Grundunzufriedenheit mit den etablierten Parteien gibt“, räumte Lindenau ein.
Aufruf zum Ungültig-Wählen
Ausdrücklich dazu aufgerufen, seinen Stimmzettel ungültig zu machen, hatte der im ersten Wahlgang Drittplatzierte, Detlev Stolzenberg. Der parteilose Stadtplaner war im ersten Wahlgang vor drei Wochen aus dem Stand auf über 20 Prozent gekommen. Von beiden Seiten umworben, hatte er angekündigt, sich weder von Lindenau noch von Weiher vereinnahmen zu lassen. Mit keinem von beiden sei der Neuanfang möglich, den er sich für Lübeck erhoffe.
Erstmals gegründet wird Lübeck als Burg Liubice um 819 von Abodriten.
Nach dynastischen Anfängen greift ab dem 11. Jahrhundert ein Wahlrecht, das eine Erbfolge vom Fürsten auf seine Söhne ausschließt.
Pribyslav, der letzte Herr von Liubice, erlebt 1138 die Zerstörung der Burg durch Adolf von Schauenburg, der 1143 die Stadt neu gründet.
Aus Westfalen eingewandert, wird 1168 der 28-jährige Giselbert von Warendorf erster Bürgermeister der Stadt.
„Ich selbst werde mich mit einem,Nein Danke' der Stimme enthalten“, hatte er stattdessen empfohlen. „Möglicherweise tun dies viele Hundert Wählerinnen und Wähler und geben dadurch der neuen Verwaltungsspitze ein Zeichen“, so seine Hoffnung. Anders als Nichtbeteiligung sei Ungültig-Wählen „legitim und demokratisch“, so Stolzenberg.
Diesbezüglich hat Lindenau so seine Zweifel. „Demokratie lebt auch von Entscheidungen“, sagte der designierte Bürgermeister der taz, „gerade auch in einer schwierigen Lage.“ Alles andere führe zu Stillstand, „und ich hatte die WählerInnen von Herrn Stolzenberg als Menschen wahrgenommen, denen es um Veränderung geht“. Tatsächlich befindet sich nicht nur die Demokratie der einst so stolzen Stadt nach 17 Jahren unter Bernd Saxe (SPD) in der Krise.
„Ideenlos und autoritär“
Dem Amtsinhaber werden Ideenlosigkeit und ein autoritärer Kommunikationsstil vorgeworfen. Der kommunale Haushalt steht mit 1,5 Milliarden Euro in der Kreide, der Verkehr in der Stadt ist durch schlecht koordinierte Bauleitplanung seit einem guten Jahr zum Erliegen gekommen: Sowohl Weiher als auch Lindenau hatten sich im Wahlkampf bemüht, ihre Distanz zu Saxe deutlich zu machen.
Das artikulierte Misstrauen gegenüber der Kommunalpolitik sei „ein Diskurs, den wir führen müssen“, sagte Lindenau nun mit Blick aufs Wahlergebnis. Er werte die Stimmenthaltungen als Ansporn, zu beweisen, dass man Dinge auch dann anders angehen könne, wenn man aus einer etablierten Partei stammt. Dafür ist er doppelt qualifiziert: Der Bankkaufmann ist seit 2000 Mitglied der etabliertesten aller deutschen Parteien, und ebenso lange kommunalpolitisch aktiv, obwohl er erst 38 Jahre alt ist.
Bedröppelt gratulierte die als Favoritin ins Rennen gegangene Weiher noch in der Wahlnacht dem Gewinner. „Ich hatte gehofft, die Wahl zu gewinnen“, sagte sie. Als Kultursenatorin will sie mindestens bis zum Ende ihrer Amtszeit 2020 weiter machen. Ihre Wahl hätte eine echte Zäsur in Lübecks Geschichte bedeutet: Von einer weiblichen Regentschaft dort ist nichts überliefert, seit um das Jahr 819 der slawische Stamm der Abodriten die Burg Liubice an der Schwartaumündung errichteten.
Glaubt man Lindenau, ist indes kein frauenfeindlicher Passus in deren ungeschriebenem Gesetz verantwortlich für seinen Sieg, sondern ein „streng sachbezogener Wahlkampf“. Dort hatte sich Weiher als Kandidatin präsentiert, die „das Lübecker Klein-Klein hinter sich“ lassen will. Lindenau setzte das Image des Kümmerers dagegen: „Wir erleben, dass diese Stadt in vielen Bereichen im Kleinen nicht funktioniert“, sagt er. „Bevor ich das große Ganze in Angriff nehme, muss ich die Dinge, die im Alltag nicht klappen, erledigen.“
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