Eine ganz eigene Welt für das Studium

Die Freie Universität eröffnet heute ihre neue philologische Bibliothek. Der Stararchitekt Lord Norman Foster hat den Neubau mitten in die Dahlemer „Rostlaube“ gesetzt. Für die Form der Kuppel obendrauf ließ er sich von einem Gehirn inspirieren. Und auch der Innenraum ist überwältigend

VON OLIVER G. HAMM

Halle, Eberswalde, Dresden, Magdeburg, Weimar und zuletzt Cottbus – vor allem im Osten Deutschlands ist in den letzten Jahren eine ganze Reihe erstklassiger Universitätsbibliotheken entstanden. Seit geraumer Zeit steht auch in Berlin der Um- und Ausbau der (Universitäts-) Bibliothekenlandschaft auf dem Programm. Heute wird mit der philologischen Fachbereichsbibliothek der Freien Universität ein weiterer schmucker Hort des Wissens eröffnet: im „alten Westen“ der Stadt, dort wo die Welt noch in Ordnung zu sein scheint, wo Studenten teils in geradezu familiärer Atmosphäre in schmucken Villen sich ihren Studien widmen können.

Doch so ganz stimmt das idealisierte Bild von der FU im feinen Dahlem schon lange nicht mehr. Denn neben den zahllosen umgewidmeten Wohnbauten ringsum prägen schließlich seit mehr als 30 Jahren die „Rostlaube“ und die später ergänzte „Silberlaube“ ganz wesentlich das Erscheinungsbild der jüngsten, erst nach der Teilung gegründeten Universität. Das in zwei Bauabschnitten zwischen 1964 und 1979 errichtete teppichartige Multifunktionsgebäude mit Hörsälen und Seminarräumen galt zu seiner Zeit als Avantgarde-Architektur, die den sonst üblichen, vor allem auch in die Höhe wachsenden Großstrukturen mit einem humaneren, kleinteiligeren Modell einer polyzentrischen Wissensstadt Paroli bot. Doch mit dem – teils gewollten – fortschreitenden Korrosionsprozess der damals neuartigen Corten-Stahlfassade geriet der FU-Zentralbau schließlich in Verruf.

Seit acht Jahren, als er einen Wettbewerb zum Umbau, zur Sanierung und zur Erweiterung der FU Berlin gewann, arbeitet Stararchitekt Lord Norman Foster daran, die „Rostlaube“ und ihren Ruf aufzupolieren. Abschnitt für Abschnitt wurde der Asbest entfernt, die innere Struktur neuen Anforderungen angepasst und die Fassade erneuert. Seit kurzem wird das Hauptwerk des Strukturalismus in Deutschland um einen Neubau für die Bibliothek der Philologischen Fakultät ergänzt, die bislang auf elf Standorte verteilt war. Noch sind die Arbeiten an dem Altbau nicht abgeschlossen, doch schon heute lässt sich sagen, dass die Erneuerung und Ergänzung der „Rostlaube“ rundum gelungen ist.

Beim Reichstagsgebäude hatte sich Lord Norman Foster zunächst geweigert, dem raumgreifenden Bauwerk eine Kuppel aufzusetzen. Heute möchte auch er das von ihm geschaffene Sinnbild der „Berliner Republik“, die gläserne Kuppel über dem Plenarsaal des Bundestages, wohl nicht mehr missen. Bei seinem zweiten Werk in Berlin kam er schließlich „aus freien Stücken“ auf die Baukörperform einer diesmal flach geneigten „Kuppel“, wobei er sich, bei einer geisteswissenschaftlichen Fakultät nahe liegend, von einem Gehirn inspirieren ließ.

Die Form und auch den Standort der Bibliothek musste sich das Büro Foster and Partners schrittweise erarbeiten. Statt auf dem Parkplatz des Hauptgebäudes der FU, wie noch beim 1997 siegreichen Wettbewerbsentwurf vorgesehen, fügten die Architekten den Neubau schließlich in die teppichartige Struktur der „Rostlaube“ ein. Um die äußere Erscheinung des 1967 bis 1973 nach Plänen von Candilis, Josic, Woods und Schiedhelm errichteten Gebäudes nicht zu beeinträchtigen und die Bibliothek trotz ihrer gewaltigen Ausdehnung von 55 mal 64 Metern natürlich belüften zu können, überwölbten sie den fünfgeschossigen Neubau mit einer doppelschaligen Hülle. Die am Scheitelpunkt gerade einmal 19 Meter hohe Außenhülle, die erst nach Betreten des runderneuerten Altbaus im ersten Hof sichtbar ist, wird von Stahlblechpaneelen und vergleichsweise wenigen Glasflächen geprägt.

Bei aller formalen Eigenheit der Bibliothek, kann ihre Außenhülle als Reminiszenz an die alte Corten-Stahlfassade der „Rostlaube“ von Jean Prouvé gedeutet werden, die seit 1999 schrittweise durch eine neue Baubronze- Fassade im gleichen Corbusier’schen Modulor-Raster ersetzt wird. Die Innenhülle besteht aus schallschluckendem Glasfasergewebe, durch dessen eingewebte Fenster ausreichend Tageslicht einfällt. Ein gelb gestrichenes Raumfachwerk hält die Hüllen in Form. Der Innenraum ist überwältigend: Das beschwingte Spiel der von Geschoss zu Geschoss versetzten 650 Leseplätze an den Rändern der ansonsten nahezu ausschließlich der Aufbewahrung von rund 700.000 Büchern dienenden Ebenen, die zurückhaltende Farbgebung im Kontrast zu den farbigen Bucheinbänden und vor allem das mit dem Sonnenstand variierende Tageslicht sorgen für abwechslungsreiche, aber nie dem Selbstzweck dienende Raumerlebnisse. Hier können die Studenten konzentriert in eine ganz eigene Welt eintauchen – aber das sind sie in Dahlem ja schon lange gewohnt.