Wohnen auf dem Schulden­berg

Die Berlinovo ist eine landeseigene Wohnungsgesellschaft. Aber sie unterscheidet sich von den übrigen sechs. Ihr Auftrag lautet: Geld verdienen –um die Schulden abzubauen, die Berlinaus dem Bankenskandalnoch mit sich zieht

30 Quadratmeter für 600 Euro und eine gute Sache: Berlinovo-Apartmenthaus nahe dem Bülowbogen zwischen Kreuz- und Schöneberg Foto: Karsten Thielker

Von Gunnar Hinck

Die Sprache der Immobilienbranche ist berüchtigt für Geschwurbel. So gibt auch die Wohnungsgesellschaft Berlinovo alles, um im Internet für ihren 70er-Jahre-Bau auf der Schöneberger Seite der Yorckbrücken zu werben: Die „geräumigen Ein-Zimmer-Apartments sind 30 Quadratmeter groß“ und haben einen „kombinierten Wohn-/Schlafraum“ – was auf Deutsch schlicht bedeutet: Im einzigen Zimmer steht auch das Bett. Und nicht nur das bietet die Wohnanlage: „Ein Fernsehgerät steht in jedem Apartment schon bereit.“

Der ältere Mann mit bayerischem Akzent, der den Eingang des Hauses an der Kulmer Straße mit Einkaufstüten ansteuert, ist trotzdem nicht zufrieden mit seinem Apartment. Die Heizung falle im Winter regelmäßig aus, auch der Fahrstuhl versage häufig seinen Dienst, klagt er. Er wohnt seit über 20 Jahren in der Anlage. Nur die günstige Warmmiete von 400 Euro hält ihn davon ab, zu kündigen. Neumieter müssen mindestens 600 Euro zahlen.

Das ist happig hier im Schöneberger Grenzgebiet zu Kreuzberg. Das Berlinovo-Apartmenthaus liegt an der Einmündung der sechsspurigen Kulmer in die ebenfalls sechsspurige Goebenstraße, die auf Kreuzberger Seite zur Yorckstraße wird. Die Gegend nahe dem Bülowbogen strahlt immer noch die Hässlichkeit der 70er-Jahre aus.

Die Szenerie kann Zufall sein, man kann sie aber auch als Symbol lesen für die schwierige Geschichte der Berlinovo und die Altlasten des Unternehmens. Die Berlinovo ist Berlins unbekannteste landeseigene Wohnungsbaugesellschaft. Dabei unterhält sie in Berlin 14.000 Wohnungen und, wie an der Kulmer Straße, 6.500 Apartments. Doch während Degewo, Howoge und Co. vertraute Namen sind und wohnungspolitisch eine immer größere Rolle spielen – schließlich sollen sie die unaufhaltsam steigenden Mieten dämpfen helfen -, hat die Berlinovo eine andere Aufgabe. Die Wohnungsgesellschaft ist das Produkt der größten politischen Krise in Berlin seit dem Mauerbau. In ihr sind jene berüchtigten Immobilienfonds gebündelt, die vor fast siebzehn Jahren den Berliner Bankenskandal auslösten.

Die Bankgesellschaft

Über den wiederum stürzte die große Koalition von Langzeit-Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU). Eine zentrale Rolle spielte der damalige Vorstandsvorsitzende der landeseigenen Bank Berlin Hyp Klaus Landowsky, der sich – weil gleichzeitig CDU-Fraktionsvorsitzender im Berliner Abgeordnetenhaus – selbst kontrollierte. Der Sozialdemokrat Klaus Wowereit ergriff im Jahr 2001 die Chance, ließ die Koalition platzen und sich zum Nachfolger Diepgens wählen.

Wowereit ist längst Vergangenheit, doch die Fonds sind noch da. Ein Rückblick: Im Januar 1994 hatte der Senat alle Bankenbeteiligungen des Landes in einer Holding zusammengefasst – die Berliner Bankgesellschaft. Ein undurchsichtiges, rechtlich höchst zweifelhaftes Geflecht aus privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Instituten entstand. Eine eigens gegründete Tochter der Bankgesellschaft, die Immobilien- und Baumanagement GmbH (IBG), stieg in das riskante Geschäft mit Immobilienfonds ein. Sie warb Geld von Anlegern ein, das sie über die Fonds in Immobilien investierte. Die Fonds liefen gut – so gut, dass die IBG im Bundesgebiet und sogar im Ausland wahllos Immobilien zusammenkaufte, um das viele Geld anlegen zu können: Plattenbauten im Osten, heruntergekommene Mietshäuser des ehemals gewerkschaftseigenen Wohnungsunternehmens Neue Heimat im Westen, Kinos, Supermärkte, sogar Tankstellen. Außerdem baute sie in großem Stil selbst, vor allem im Ostteil Berlins.

Die Berlinovo wurde im Jahr 2012 gegründet. Vorläufer war die Berliner Immobilien-Holding (BIH), die als Auffangbecken für die faulen Immobilienfonds der Berliner Bankgesellschaft diente. Sie wandelte der Senat mit Zustimmung des Abgeordnetenhauses in ein eigenständiges Unternehmen um. Dafür gab es eine – vorläufig letzte – Finanzspritze von 420 Millionen Euro. Geschäftsführer sind der ehemalige Burda-Manager Roland Stauber und die ehemalige Direktorin der Domäne Dahlem, Silke Andresen-Kienz.

Die Konstruktion der Berlinovo ist besonders. Die landeseigene Gesellschaft ist nicht Eigentümer, sondern nur Dienstleister für die Fonds, die im Besitz der Immobilien sind. Bei den Apartments ist die Berlinovo Generalmieter und vermietet die Mini-Wohnungen weiter. Bis heute sind die Immobilienfonds nicht vollständig im Besitz des Landes, was eigentlich Ziel der Rückkaufpolitik des Senats war. Anders als die anderen landeseigenen Berliner Wohnungsunternehmen Degewo, Gesobau, Gewobag, Howoge, Stadt und Land und WBM ist die Berlinovo nicht in die Mietenpolitik des Landes einbezogen. (ghi)

Die Fonds waren so attraktiv, weil die IBG für die Anleger ein Rundum-Sorglos-Paket schnürte: Mieteinnahmen wurden über Jahrzehnte garantiert – wenn eine Immobilie leer stand, zahlte die IBG einfach den Mietausfall. Die IBG wollte wachsen um jeden Preis, deswegen erfand sie die absurden Privilegien für die Anleger. Auf diese fatale Idee konnte sie nur deshalb kommen, weil alle Risiken das Land Berlin und damit der Steuerzahler trug.

Und so kam es denn auch. Die Überbewertung der Immobilien flog auf, die Bankgesellschaft brach zusammen. Als Sofortmaßnahme musste Berlin 2001 1,8 Milliarden Euro zuschießen. Aus der IBG wurde die Berliner Immobilienholding (BIH) und 2012 schließlich die Berlinovo.

Siebzehn Jahre später sagt Matthias Kollatz-Ahnen (SPD), Berliner Finanzsenator und gleichzeitig Aufsichtsratsvorsitzender der Berlinovo: „Mit der Entwicklung der Berlinovo in den vergangenen Jahren bin ich sehr zufrieden.“ Er freut sich darüber, dass die Schulden mit aktuell knapp zwei Milliarden Euro in den vergangenen vier Jahren halbiert werden konnten. Die Verschuldungsquote liegt laut aktuellem Geschäftsbericht bei knapp unter 70 Prozent. Vor acht Jahren lag sie bei der Vorgängergesellschaft der Berlinovo noch bei 130 Prozent: Pro einem Euro Vermögen hatte die BIH also 130 Euro Schulden – eine klassische Überschuldung.

Die Berlinovo macht seit ihrer Gründung 2012 Gewinne. Dabei halfen zwei Entwicklungen: Inzwischen ist der Leerstand in Berlin praktisch auf null, die Mieten steigen und gleichzeitig der Wert der Häuser. Und die Zinsen sind extrem niedrig, wodurch die Berlinovo mit ihren Milliarden-Krediten jährlich Millionen spart. Der Finanzsenator spricht von einem Umbau zu einem „normalen Landesunternehmen“. Die Bestände, die außerhalb Berlins liegen, sollen bis 2020 verkauft sein. Fraglich ist aber, ob das gelingt. Über die Hälfte aller Mieteinnahmen der Berlinovo stammt laut Geschäftsbericht nicht aus Berliner Objekten. Bis heute hält das Unternehmen zahlreiche schwer verkäufliche Supermärkte, Baumärkte, Einkaufszentren und sogar Fastfood-Filialen in der bundesdeutschen Provinz.

Nicht im Mietenbündnis

„Normal“, wie es der Finanzsenator verspricht, wird die Berlinovo ohnehin so schnell nicht werden können. Die Wohnungsmieten sind zwar moderat. Mieter müssen im Schnitt 6 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter zahlen, Neumieter 7,30 Euro, das ist etwa das Niveau der anderen landeseigenen Wohnungsgesellschaften. Anders als diese ist die Berlinovo aber nicht Teil des Mietenbündnisses, das der damalige Stadtentwicklungssenator Michael Müller im Jahr 2012 mit den sechs andere landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften geschlossen hat, um den Mietanstieg zu dämpfen und einkommensschwächeren Mietern eine Chance zu geben, eine Wohnung zu bekommen.

Zwar gab sich die Berlinovo eine befristete „Vermietungscharta“, die die gleichen Bedingungen wie beim Mietenbündnis festschreibt. Die ist aber eine rechtlich unverbindliche Absichtserklärung und bleibt hinter der aktuellen Kooperationsvereinbarung zurück, die der Senat mit den sechs anderen landeseigenen Gesellschaften in diesem Frühjahr geschlossen hat und die die Mieter nochmals besser schützt. Die Berlinovo hat mehr Spielraum bei Mieterhöhungen und Modernisierungsumlagen und muss, anders als die anderen Landeseigenen, nicht die Mehrzahl der frei werdenden Wohnungen an Haushalte mit Wohnberechtigungsschein (WBS) vergeben.

Die Fonds liefen gut – so gut, dass die IBG wahllos Immobilien kaufte

Dennoch zählt der Senat zu den 400.000 Wohnungen, die er bis 2026 im landeseigenen Bestand haben will, auch die Bestände der Berlinovo dazu. Eine zweifelhafte Rechnung, weil sie eben nicht Teil der Mietenpolitik des Senats ist und wegen ihrer komplizierten Besitzverhältnisse auch nicht sein kann. Sie zählt mit, weil es der Politik hilft, ihre Statistik aufzuhübschen.

Ob die Finanzverwaltung die Berlinovo in Wirklichkeit aus der Mietendämpfungspolitik heraushalten will, um die Verschuldung der Berlinovo möglichst schnell abzubauen? „Nein, diese Einschätzung ist falsch“, entgegnet Matthias Kollatz-Ahnen. Er ergänzt aber: „Rasche Entschuldung ist ein Ziel im Interesse der Steuerzahler.“ Es geht also auch um Einnahmen. Besonders kreativ ist dabei die Entscheidung des Senats, nicht nur die Wohnungen, sondern auch die 6.500 Apartments der Berlinovo zur Zielmarke von 400.000 Wohnungen zu zählen. Denn selbst beim besten Willen haben möblierte Apartments, die man auf Zeit mieten kann, nichts mit sozialer Mietenpolitik zu tun: Sie fallen nicht unter den Mietspiegel, der Vermieter kann den Preis frei aushandeln.

Die Apartments

Nicht nur das Schöneberger Apartmenthaus der Berlinovo, auch die Anlage in der Steglitzer Forststraße und das Hochhaus im Dröpkeweg in Neukölln machen einen etwas heruntergewirtschafteten Eindruck. Die Berlinovo besitzt die Häuser nicht – und Kurzzeitmieter interessieren sich meist nicht für den Zustand eines Hauses. Es geht um Rendite.

Früher gehörten die Apartments zur Arwobau, der „Arbeitnehmer-Wohnheimbaugesellschaft“. Die städtische Arwobau zog nach dem Mauerbau überall in West-Berlin einfache Wohnheime hoch, um angeworbenen Arbeitskräften aus Westdeutschland für eine Übergangszeit ein Dach über dem Kopf zu bieten. Damals litt die Halb-Stadt unter Fachkräftemangel. Heute heißen die Wohnheime Apartmenthäuser, weil das netter klingt, aber der Zweck ist der gleiche.

Denn auch die Arwobau wurde in den Bankenskandal hineingezogen und gehört zu den Überbleibseln der Bankgesellschaft. Mitte der Neunzigerjahre verscherbelte der Senat die Arwobau in zwei Tranchen an die Banktochter IBG, um Haushaltslöcher zu stopfen. Damaliger Preis: knapp 13.000 Euro pro Apartment. Die verantwortlichen Finanzsenatoren waren Elmar Pieroth von der CDU und seine Nachfolgerin Annette Fugmann-Heesing von der SPD. Die IBG wiederum verkaufte die einzelnen Arwobau-Immobilien an ihre Rundum-Sorglos-Fonds.

Knallfarbe gegen die Betontristesse der 70er-Jahre: Apartmenthaus der Berlinovo Foto: Karsten Thielker

Heute mietet die Berlinovo die Apartments über Generalmietverträge von diesen Fondsgesellschaften zurück. Wer also in einem Apartment wohnt, ist Mieter beim Generalmieter Berlinovo. Die Mieteinnahmen fließen größtenteils weiter zu den Eigentümern, den Fonds.

Der offizielle Leerstand liegt bei zehn Prozent, aber in den weniger attraktiven Gebäuden scheinen mehr Wohnungen leer zu stehen. Wohnungssuchende ohne große Ansprüche könnten hier eine Bleibe finden, wenn die Apartments als normale Wohnungen zu mieten wären. Wegen der Renditeerwartungen der Fondsbesitzer und der damit verbundenen teuren Generalmietverträge der Berlinovo ist das nicht möglich. Es sei denn, das Land Berlin würde die Apartments heruntersubventionieren.

Die Fonds

Generell ist die Berlinovo bis heute nicht Eigentümerin der Immobilien, die sie anbietet, sondern – abgesehen von den Apartments, bei denen sie Mieterin ist – nur bezahlte Dienstleisterin für die Fonds. Auch die 14.000 Berliner Wohnungen, die sie vermietet, gehören immer noch insgesamt 24 Fondsgesellschaften. Wer also in eine Wohnung der Berlinovo zieht, zahlt seine Miete zwar zunächst an diese. Die zieht davon dann ihre Gebühren ab und überweist den Rest an den Fonds, der dann die Gewinne an die Anteilseigner ausschüttet.

Die Anteile wiederum gehören mittlerweile überwiegend Berlin selbst. Denn seit über zehn Jahren kauft das Land die Anteilszeichner nach und nach heraus, um die fantastischen Mietgarantien loszuwerden. Diese Idee hatte der damalige Finanzsenator Thilo Sarrazin. Vor fünf Jahren besaß Berlin bereits 97 Prozent, jetzt sind es 99,5 Prozent. Doch der kleine Rest weigert sich, seine Anteile zu verkaufen – kein Wunder, denn die Fonds sind lukrativ.

Vor fünf Jahren besaß Berlin 97 Prozent, jetzt sind es 99,5 Prozent der Fondsanteile

Es sei wenig realistisch, die letzten privaten Eigentümer herauszukaufen, heißt es bei der Berlinovo. Die 0,5 Prozent sind aber keine Marginalie: Erst wenn das Land die Fonds komplett besitzt, kann es sie auflösen und sich als Eigentümer im Grundbuch eintragen lassen.

Steffen Zillich sitzt für die Linke im Vermögensausschuss des Abgeordnetenhauses. Er kritisiert, auf welche Weise der damalige SPD-CDU-Senat im Jahr 2012 das Unternehmen auf den Weg brachte.

Damals entließ das Land Berlin die Immobilien-Holding BIH in die Selbstständigkeit und machte daraus die Berlinovo. Dazu gab es eine letzte Finanzspritze aus Steuergeld von knapp 420 Millionen Euro. „Uns wurde damals versprochen, dass das Land die Fonds komplett erwerben wird. Das ist aber nicht eingetreten. Bis heute hängen am Unternehmen die Risiken aus den Mietgarantien“, sagt Zillich.

2030 endet die Laufzeit der letzten Fonds. Dann bekommen die Anteilseigner ihre Einlagen zurück und die Grundstücke und Immobilien werden direkt der Berlinovo zufallen.

Die Kosten

Klaus Landowsky 2001 im Berliner Abgeordnetenhaus Foto: Hans-Peter Stiebing

Bis heute hat Berlin knapp 4,3 Milliarden Euro für die Berlinovo gezahlt. Neben der Finanzspritze von 420 Millionen Euro flossen zwei Milliarden Euro für den Rückkauf der Fonds. Weitere 1,2 Milliarden Euro hat die Schuldenübernahme gekostet.

Wenn die Berlinovo am Ende nur noch – wie geplant – die 20.000 Wohnungen und Apartments in Berlin besitzt, wird sie also stolze 215.000 Euro pro „Mieteinheit“ gezahlt haben. Das ist keine bilanztechnisch korrekte Rechnung, zeigt aber, wie teuer es war, das Immobilienkapitel des Bankenskandals abzuwickeln.

Und immer noch steht Berlin für die Mietgarantien gerade. Bislang geht die Senatsfinanzverwaltung nicht davon aus, dass dieser Fall eintritt – sie schließt ihn aber auch nicht ausdrücklich aus.

Spätestens wenn die letzten Fonds auslaufen, wird die Debatte wieder losgehen, was mit der Berlinovo geschehen soll.