Drei Schüsse auf die „ehrlose“ Schwester

Heute beginnt in Berlin der Prozess gegen drei kurdischstämmige Brüder. Sie sollen ihre Schwester, die 23-jährige Hatun Sürücü, erschossen haben, um die Familienehre wiederherzustellen. Der Lebenswandel der jungen Frau passte ihnen nicht

AUS BERLIN SABINE AM ORDE

Es ist kein Einzelfall, da sind sich die ExpertInnen einig. Rund 50 Ehrenmorde zählt „Terre des Femmes“ in den letzten 10 Jahren in Deutschland. Doch es war diese Tat, die zu einer heftigen Debatte über Ehrenmorde, Zwangsheiraten und familiäre Gewalt gegen Migrantinnen führte. Und auch zu Protesten in der eigenen Community. Hatun Sürücü ist am 7. Februar auf offener Straße in Berlin-Tempelhof erschossen worden. Drei Kugeln trafen die 23-jährige Deutschkurdin in den Kopf. Die alleinerziehende Mutter, die einen fünfjährigen Sohn hinterließ, war sofort tot. Heute beginnt vor dem Berliner Landgericht der Prozess gegen drei ihrer Brüder. Ihnen wird gemeinschaftlicher Mord vorgeworfen.

Bereits sechs Tage nach der Tat hatte die Polizei den heute 26-jährigen Mutlu, den 24-jährigen Alpaslan und Ayhan, der mit 18 der jüngste der drei Angeklagten ist, verhaftet. Nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sollen die drei die Tötung ihrer Schwester beschlossen und arrangiert haben, um die Familienehre wiederherzustellen. Diese war ihrer Ansicht nach durch den Lebenswandel der jungen Frau zerstört. Hatun Sürücü lebte so, wie viele junge Frauen in Berlin es tun.

Doch die junge Frau musste sich dieses Leben hart erkämpfen. Die Sürücüs, eine strenggläubige Familie, leben seit zwanzig Jahren in Berlin, Hatun war das fünfte Kind und die erste Tochter. Sie muss ein aufgewecktes, kluges Mädchen gewesen sein, denn sie schaffte es auf das Gymnasium, und das gelingt nur wenigen Migrantinnen. Als sie auf das Kreuzberger Robert-Koch-Gymnasium wechselte, trug sie bereits ein Kopftuch. Nach der achten Klasse meldeten die Eltern die Tochter von der Schule ab. Sie hatten – gegen den Willen der 15-Jährigen – eine Hochzeit mit einem Cousin in der Türkei arrangiert. Die Ehe scheiterte, die junge Frau kam nach Berlin zurück, zog zu ihren Eltern. Nach der Geburt ihres Sohnes im Mai 1999 drängte die Familie die junge Mutter, in die Türkei zurückzukehren. Hatun weigerte sich. Stattdessen zog sie mit dem Sohn in ein Mutter-und-Kind-Heim, machte den Hauptschulabschluss nach und begann schließlich eine Ausbildung zur Elektroinstallateurin. In dieser Zeit, erzählten Freundinnen und Sozialarbeiterinnen den Medien, begann sie sich zu schminken, legte das Kopftuch ab, ließ sich die Haare kurz schneiden, hatte einen deutschen Freund. Dass Hatun sich von ihren Brüdern bedroht fühlte, erzählen sie auch. Gegen einen von ihnen, der nicht zu den Angeklagten gehört, erstattete sie Anzeige.

Die drei Brüder, die ab heute vor Gericht stehen, sollen sich für ihre Schwester geschämt haben, sagen die Ermittler. Und sie fürchteten, Hatun würde ihren Sohn nicht nach den Regeln des Islam erziehen. Noch steht nach Angaben der Staatsanwaltschaft nicht fest, inwieweit ein anderes Verbrechen in dem Prozess zur Sprache kommen wird: Die Ermittler haben Hinweise darauf, dass Hatun in den Jahren zuvor von einem männlichen Familienmitglied vergewaltigt worden sein soll. Selbst das wird nach manchen kruden Ehrvorstellungen nicht dem Täter, sondern dem Opfer zur Last gelegt.

Der älteste der drei Brüder jedenfalls, davon geht die Staatsanwaltschaft aus, soll die Waffe besorgt haben; Ayhan, der jüngste, übte im Park Schießen damit. An dem Abend, an dem Hatun Sürücü starb, besuchten die beiden jüngeren Brüder ihre Schwester. Ayhan lockte sie aus dem Haus. Auf dem Weg zur nahe gelegenen Bushaltestelle soll er abgedrückt haben. Ohne Vorwarnung. Das hat Ayhans Freundin ausgesagt. Ihr soll Ayhan die Tat gestanden haben.

Die drei Brüder selbst, die seit sieben Monaten in Untersuchungshaft sitzen, bestreiten die Tat oder schweigen. Nach einem Bericht des WDR sollen sie Kontakt zu Islamisten der inzwischen verbotenen Organisation Hizb ut-Tahrir gehabt haben. Ayhan, der jüngste der drei, so viel zumindest bestätigt die Staatsanwaltschaft, sei bereits mit 15 aufgefallen, weil er Flugblätter verteilt habe, in denen „Juden und Ungläubige“ für die Anschläge des 11. September verantwortlich gemacht wurden. Wenige Monate zuvor soll er bei den Kreuzberger Mai-Krawallen Steine auf Polizisten geworfen haben. Der Prozess ist bis Anfang November terminiert.