Dürfen Gerichte Kirchen kontrollieren?

Der EuGH muss entscheiden, ob Kirchen konfessionslosen Stellenbewerbern eine Chance geben müssen. Generalanwalt fordert eine gerichtliche Abwägung der Interessen

Die Wege des Herrn führen bis vor den Europäischen Gerichtshof Foto: Sebastian Gollnow/dpa/picture alliance

Von Christian Rath, Berlin

Kirchliche Arbeitgeber dürfen nicht frei entscheiden, bei welchen Tätigkeiten ein Mitarbeiter Kirchenmitglied sein muss. Diese Lösung empfiehlt der unabhängige Generalanwalt Evgeni Tanchev in einem deutschen Fall, der aktuell am Europäischen Gerichtshof (EuGH) verhandelt wird. Ein staatliches Gericht müsse die Interessen von Kirche und Arbeitnehmer abwägen.

Konkret ging es um eine befristete Stelle beim Diakonischen Werk der evangelischen Kirche. Gesucht wurde 2012 ein Referent, der einen Bericht zum Rassismus in Deutschland schreibt.

„Die Mitgliedschaft in einer evangelischen Kirche oder in einer der ACK angehörigen Kirche und die Identifikation mit dem diakonischen Auftrag setzen wir voraus“, hieß es in der Ausschreibung. ACK steht für die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen, der auch die katholische Kirche angehört.

Dabei bewarb sich auch die konfessionslose Sozialpädagogin Vera Egenberger, die aber trotz guter Referenzen erst gar nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurde. Das Diakonische Werk begründete das später mit ihrem fehlenden Universitätsabschluss. Zugleich betonte die Diakonie, dass es bei der Stelle sehr wohl auf eine Identifikation mit christlichen Werten ankomme.

Das deutsche Allgemeine Gleichstellungsgesetz ist eher kirchenfreundlich. Es stellt auf das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften ab. Letztlich dürfen kirchliche Arbeitgeber selbst entscheiden, welche religiösen Anforderungen an Mitarbeiter sie stellen. Dies entspricht auch der kirchenfreundlichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.

Egenberger klagte trotzdem gegen das Diakonische Werk auf Schadenersatz in Höhe von knapp 10.000 Euro. Sie sei nur deshalb nicht zu Bewerbungsgesprächen eingeladen worden, weil sie keiner Kirche angehöre.

Das Bundesarbeitsgericht legte im März 2016 den Streit dem EuGH vor. Für den Anspruch auf Schadenersatz komme es darauf an, ob das Diakonische Werk für diese Stelle die Mitgliedschaft in einer christlichen Kirche verlangen durfte.

Das BAG wollte vom EuGH wissen, ob die deutsche Rechtslage mit den EU-Vorgaben in der Antidiskriminierungsrichtlinie von 2000 vereinbar ist.

Die Interessen der Kirche seien abzuwägen mit denen der Beschäftigten

Die Entscheidung des EuGH wird durch das Gutachten eines der neun unabhängigen EuGH-Generalanwälte vorbereitet. Zuständig ist diesmal der Bulgare Evgeni Tanchev, der seine sogenannten Schlussanträge an diesem Donnerstag veröffentlichte.

Nach Tanchevs Auffassung können die Kirchen nicht frei entscheiden, für welche Tätigkeiten eine Kirchenmitgliedschaft erforderlich ist. Dies müsse vielmehr durch ein staatliches Gericht überprüft werden. Dabei seien die Interessen der Kirche mit den Interessen der Beschäftigten abzuwägen. Zwar sei das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen ebenso zu berücksichtigen wie die nationale verfassungsrechtliche Tradition. Dabei komme es aber auch auf die Nähe der Tätigkeit zum „Verkündungsauftrag“ der Kirche an.

Generalanwalt Tanchev ist sich bewusst, dass die vorgeschlagene Auslegung des EU-Rechts in Widerspruch zum deutschen Verfassungsrecht steht. Sollte das deutsche Recht nicht im Sinne der EU-Richtlinie auslegbar sein, könne Egenberger Schadenersatz vom deutschen Staat erhalten, so Tanchev. Ob der EuGH dieser Linie folgt, wird sich erst in einigen Monaten zeigen.

Vera Egenberger ist Geschäftsführerin des Büros zur Umsetzung von Gleichbehandlung. Sie klagt aber als Privatperson. „Ich wollte die Stelle beim Diakonischen Werk wirklich haben“, sagte sie auf Nachfrage. (Az.: C-414/16)