: „Es gab nicht viele, die zugehört haben“
JAZZFEST 1943 verübte die Wehrmacht im griechischen Dorf Kommeno ein Massaker. Der Jazzer Günter Baby Sommer erinnert beim Jazzfest mit seinen „Songs for Kommeno“ daran
■ In Kommeno wurden am 16. August 1943 von der Wehrmacht 317 Einwohner ermordet, 172 Frauen und 145 Männer. 97 der Ermordeten waren jünger als 15 Jahre, 13 waren Babys. Die Aktion einer Kompanie der 1. Gebirgsdivision war keine Vergeltungsaktion für einen Guerillaangriff. Vielmehr gab es, so Hermann Frank Meyer in dem Buch „Kommeno. Erzählende Rekonstruktion eines Wehrmachtsverbrechens in Griechenland“, zwei Wochen zuvor einen verhängsnisvollen Kontakt zwischen dem Dorf und der Wehrmacht. Ein deutscher Offizier war bei Kommeno mit seinem Auto in einem Graben gelandet und berichtete, dass dort Partisanen wären. Die Dorfbewohner, die bislang nur mit den italienischen Besatzern zu tun hatten, schickten Emissäre zum italienischen Militär, um zu fragen, ob Gefahr drohe und man mit den Deutschen reden müsse. Die Italiener wiegelten ab. Sie wussten nicht, dass die Wehrmacht beschlossen hatte, Kommeno auszuradieren. Nach 1945 wurde keiner der beteiligten Soldaten je vor Gericht gestellt. Siehe dazu den heute auf den überregionalen Kulturseiten erschienenen Bericht.
■ Um an das Massaker zu erinnern, hat der Jazzer Günter Baby Sommer Stücke komponiert. Sommers „Songs for Kommeno“ sind am Freitag, 19 Uhr, auf der Großen Bühne im Haus der Berliner Festspiele zu hören. Die CD ist bei Intakt Records erschienen. (sr)
INTERVIEW STEFAN REINECKE UND TORSTEN HASELBAUER
taz: Herr Sommer, wann waren Sie das erste Mal in Kommeno?
Günter Baby Sommer: Es war im Sommer des Jahres 2008. Es gab dort ein Percussionfestival, und ich sollte dort ein Solokonzert spielen. Ich wusste bis dahin nichts über Kommeno. Nur, dass es ein verschlafenes Dort abseits der Touristenrouten in Nordgriechenland ist. Der damalige Bürgermeister, Christos Kosmas, fragte mich am Abend vor dem Konzert, ob mir bekannt ist, dass die Deutsche Wehrmacht am 16. August 1943 in Kommeno ein fürchterliches Massaker angerichtet und 317 Zivilisten ermordet hatte. Ich war völlig schockiert.
Und dann?
Ich war in einem Hotel in Arta, einer Kreisstadt in der Nähe, untergebracht. Dort habe ich die ganze Nacht gegrübelt, ob ich nicht besser gleich wieder abreisen soll. Ich konnte ja nicht einfach spielen und so tun, als wäre nichts gewesen. Ich habe dann eine kurze Rede geschrieben und mein Konzert diesem Massaker gewidmet. Und ich habe ein Stück komponiert für die Kinder von Kommeno, die im August 1943 ermordet wurden.
Wie war die Reaktion bei dem Konzert in Kommeno?
Aufmerksam. Ich habe als Erstes ein Stück auf Röhrenglocken gespielt. Das hat die älteren Dorfbewohner an den Klang der alten Kirche erinnert. Es war ein Zufall, aber das hat das Eis gebrochen.
Und danach?
Ich bin nicht abgereist wie geplant, sondern eine Woche in Kommeno geblieben. Der Bürgermeister hat mich von Haus zu Haus geführt, und ich habe die Geschichten der Überlebenden und Nachkommen erfahren. Nach einer Woche wusste ich, wer an welchem Ort in welchem Haus hingerichtet worden war. Ich habe zugehört. Das war das Beste, was ich tun konnte. Es gab nicht viele, die den Leuten in Kommeno bislang zugehört haben. Dort habe ich dann auch Maria Labri kennengelernt, die durch Zufall als 12-Jährige dem Massaker entkommen ist, während ihre gesamte Familie ermordet wurde. Sie singt auf der CD das zentrale Stück „Marias Miroloi“, den Klagegesang.
Wie haben die Überlebenden auf Sie reagiert?
Maria hat mir 20 Minuten gegenübergesessen und kein Wort gesagt. Sie hat mich nur angeschaut.
Waren Sie danach noch öfter in Kommeno?
Ich habe dort jedes Jahr ein Konzert gegeben. Ich habe den Dorfbewohnern bei meinem ersten Konzert 2008 versprochen, dass ich ihre Geschichte bekannt mache. Erst später habe ich überlegt, wie dieses Versprechen zu erfüllen ist. Schreibe ich einen Brief an die Bundesregierung? Ich bin Musiker, kein Politiker. So entstand die Idee, eine Art Oratorium zu komponieren.
„Songs for Kommeno“ ist eine Koproduktion mit griechischen Musikern. War das von Anfang an klar?
Ja! Das nur mit deutschen Musikern zu produzieren wäre abseitig gewesen. Ich habe griechische Musiker gesucht und gefunden, die die Improvisation des Jazz beherrschen und in ihrer musikalischen Tradition stehen.
Das Konzept war also von Beginn an die Melange von Jazz und traditioneller griechischer Folklore?
Ja, wobei wir auch einiges probiert und wieder verworfen haben. Ich hatte zunächst die Idee, als Grundlage Lieder der griechischen Partisanen aus dem Zweiten Weltkrieg zu verwenden. Es gab aber eine linke und eine rechte, bürgerliche Partisanenbewegung, die verfeindet waren. Da galt es genau auszuwählen und zu gewichten. Ich habe lange mit dem Musiker Floris Floridis darüber diskutiert. Letztlich aber haben wir dieses Konzept verworfen, weil diese Lieder viele Elemente von Marschmusik und einen ziemlich kämpferischen Ton enthalten. Das passt nicht zu dem Charakter des Oratoriums. Es gibt nun ein Stück auf der CD, „Andartes“ – das ist der griechische Ausdruck für Partisanen –, mehr nicht.
Haben Sie bei diesem Thema anders komponiert?
Wir haben versucht, das szenisch zu lösen. Es gibt ein Lied, das dem Fluss gewidmet ist, in dem die vor der Wehrmacht flüchtenden Dorfbewohner ertranken. Es gibt das Lied für die Kinder, das ich in der ersten Nacht schrieb. Im Zentrum steht der Klagegesang, „Marias Miroloi“.
Hat dieses Klagelied, das „Miroloi“, eine feste Form?
Nein, es gibt keinen festen Text. Maria Labri erzählt die Geschichte des Massakers. Sie wollte das sehr lange nicht tun. Es hat drei Jahre gedauert, ehe sie eingewilligt hat.
Warum?
Weil es für sie dieses Trauma wieder aufruft und vergegenwärtigt. Ich habe dann ihren Gesang aufgenommen, eine kleine Terz. Das war die Grundlage für das Stück „Marias Miroloi“, das mit diesem Intervall spielt.
Haben Sie die „Songs for Kommeno“ schon aufgeführt?
Die Uraufführung war am 16. August in Kommeno. Das war der 69. Jahrestag des Massakers der Wehrmacht. Ich wusste bis eine Stunde vor dem Konzert nicht, ob Maria dieses „Miroloi“ auf der Bühne in Kommeno singen würde. Auf der CD beendet sie ja ihren Gesang mit den Worten „Ich kann nicht mehr“. Sie ist 82 Jahre alt, und das Singen ist eine enorme psychische Last. Sie kam schließlich und hat dieses „Miroloi“ gesungen. Das Publikum, tausend Leute auf dem Dorfplatz, hat ganz still zugehört.
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