Susanne Messmer trauert der Zwischennutzung des Palasts der Republik nach
: Das Nachdenken hat aufgehört

Irgendwann meldet sich ein Mann in den Fünfzigern mit akkurater Frisur und teurem Sakko zu Wort. „Also, ich komme aus der privaten Immobilienwirtschaft“, stellt er sich vor. „Mit dem Stadtschloss wurde eine leere Hülle hingesetzt. Und nun wird versucht, diese mit Inhalten zu füllen. Habe ich das richtig verstanden?“ Einhelliges Nicken in der Runde. „Vielleicht bin ich ja ein Trottel“, seine Stimme wird lauter. Und dann, mit ordentlich Furor: „Das haben wir im Studium aber anders gelernt.“ Die ganze emotional und symbolisch aufgeladene Debatte ums gerade entstehende Stadtschloss, die besonders in den 1990er Jahren Berlin umtrieb und von vielen gar als Nachgefecht des Kalten Kriegs empfunden wurde, ist plötzlich wieder fühlbar.

Charme der Utopie

Es ist Sonntagnachmittag im 37. Stock des Park Inn Hotels am Alexanderplatz. Das Humboldt Forum, das bald ins Stadtschloss einziehen will, hat zu einer Art Klassentreffen geladen, Titel: „Der diskrete Charme der Utopie“. Es soll noch einmal um die Zwischennutzung des Palastes der Republik 2004 und 2005 gehen, kurz bevor er abgerissen wurde und an seiner Stelle der Bau des Stadtschlosses begann. Es sollen noch einmal die Vorschläge diskutiert werden, die die Zwischennutzer damals machten, wie man diesen Ort im Herzen der Stadt auch experimentell hätte bespielen können.

Im kargen Raum des Park Inn mit der grandiosen Aussicht, wo demnächst Luxussuiten entstehen werden, sind fünf große, runde Tische aufgebaut, an denen einige der wichtigsten Macher des „Volkspalasts“ sitzen. Etwa 200 Gäste befragen diese Menschen in drei Runden à 25 Minuten zu ihrem Projekt – und dazu, was davon geblieben ist.

Die Stimmung dieses Abends ist eindeutig: Im Grunde ist nichts von dem Aufbruchsgeist übrig, der damals im bereits asbestsanierten und rohen „Volkspalast“ herrschte. In Berlins Mitte wird nun repräsentiert werden – so wie in anderen europäischen Metropolen auch. „Diese andere Art von Öffentlichkeit, die den Palast als Reflexionsort nutzte, ist dort verschwunden“, sagt Architekt Philipp Oswalt, der heute in Kassel lehrt. „Das Nachdenken hat aufgehört“, sagt Regisseurin Gesine Dannckwart, die gerade aus Peking kommt.

Endlich alles richtig gemacht

„Im Grunde kann man jetzt nur noch fragen, wie man dieses Ding ins 21. Jahrhundert bringen kann“, sagt Theaterproduzentin Amelie Deuflhard, die heute künstlerische Leiterin von Kampnagel in Hamburg ist. Sie hat recht: Man kann traurig sein darüber, was aus dem utopischen Charme der unfertigen, wild wuchernden Stadt Berlin, die einmal mehr Menschen gehörte als heute, geworden ist – aus dem Charme, der in der Zwischennutzung des Palastes wunderschön zum Ausdruck kam. Man kann die Dinge aber auch pragmatisch angehen. So haben die Initiatoren des Humboldt Forums an diesem Nachmittag alles richtig gemacht. Sie haben – endlich – die einstigen Gegner ihres Arbeitgebers nach Ideen befragt. Sie werden bestimmt ihr Bestes tun, die Schlossattrappe mit so modernen Inhalten wie möglich zu füllen.