die woche in berlin
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Die Kreisgebietsreform im Nachbarland wird abgesagt, Michael Müller propagiert das solidarische Grundeinkommen, alle bekommen einen Feiertag geschenkt, und ein spektakulärer Prozess beginnt

Brandenburg bleibt Brandenburg

Potsdam sagt die Kreisgebietsreform ab

Viele BrandenburgerInnen werden in dieser Woche aufgeatmet haben: Die ungeliebte Kreisgebietsreform, die die rot-rote Koalition in Potsdam durchsetzen wollte, ist abgesagt. Damit wird es nicht zur Schaffung neuer Großkreise kommen, und die überschuldeten Städte Frankfurt/Oder, Cottbus und Brandenburg/Havel bleiben kreisfrei.

Für den Rückzieher gab es vor allem drei Gründe: Der Widerstand von Kommunalpolitikern auch in der SPD war in den vergangenen Wochen immer größer geworden. Zudem war ein von der CDU initiiertes Volksbegehren gegen die Reform bislang sehr erfolgreich. Und drittens haben SPD und Linkspartei bei der Bundestagswahl in Brandenburg massiv an Zustimmung verloren, und zwar jeweils mehr als fünf Prozentpunkte. Die beiden Parteien, in Brandenburg ehemals Volksparteien, landeten hinter CDU und AfD auf den Plätzen drei und vier.

Gerade in berlinfernen Regionen fühlen sich viele Menschen abgehängt, und sie fürchten, dass dies nach einer Gebietsreform noch mehr der Fall sein dürfte. Die Erfahrungen der jüngsten Kreisreform in Mecklenburg-Vorpommern gaben diesen Ängsten Auftrieb. Dabei waren Großkreise entstanden, die zum Teil größer als das kleinste deutsche Flächenland, das Saarland, sind.

Die meisten BürgerInnen haben allerdings nicht viel mit der – möglicherweise weit entfernten – Kreisstadt zu tun. Zum Beispiel können Elterngeldanträge komplett schriftlich erledigt werden. Häufiger frequentierte Ämter, zum Beispiel das Jugend- oder das Gesundheitsamt, haben Außenstellen in wohnortnäheren Städten, zumindest in dichter besiedelten Gegenden. Wer sich aber im Kreis politisch engagiert, etwa als Abgeordneter oder als Aktivist, der Fördergelder für kulturelle oder zivilgesellschaftliche Projekte haben will, der muss weite Wege in Kauf nehmen. Je größer ein Kreis, umso mehr wird solches Engagement erschwert.

Auch ohne Kreisreform könnten Ämter von Kreisen oder kreisfreien Städten zusammengelegt werden, um bei der Verwaltung der Verwaltung zu sparen – ohne dass die BürgerInnen dies spüren müssten. Ein Beispiel: Ob auf dem Briefkopf des Gesundheitsamtes, das zur Schuleingangsuntersuchung einlädt, künftig Prignitz-Ruppin oder Ostprignitz-Ruppin steht, dürfte der betroffenen Familie egal sein, solange ihre Anreise zur eigentlichen Untersuchung gleich bleibt. Richard Rother

Ein bisschen Eigennutz darf sein

Müllers solidarisches Grundeinkommen

Das muss man erst mal schaffen: Noch nicht mal seine erste Bundesratssitzung als Präsident geleitet zu haben und doch schon eine bundesweite Debatte auszulösen. SPD-Mann Michael Müller hat mit seinem Vorstoß für ein solidarisches Grundeinkommen all jene widerlegt, die sich von der Berliner Bundesratspräsidentschaft nichts versprachen, vor allem nicht mit Müller.

Das solidarische Grundeinkommen sollen Menschen erhalten, die sich ehrenamtlich etwa um Senioren kümmern, Parks pflegen oder Flüchtlingen helfen. Natürlich ist es bislang nur eine Idee, maximal ein Konzept, selbst eine oft unter Schaufensterpolitik abgebuchte Bundesratsinitiative des Landes Berlin ist dieses solidarische Grundeinkommen noch nicht. Und doch gibt es zumindest in diesen Tagen eine öffentliche Debatte über das Thema. Gemessen an den mauen Erwartungen hat Müller sein Soll als Bundesratspräsident damit eigentlich schon erfüllt.

Wer ihm übelwill, der sagt nun: Dem geht’s doch nicht um die Sache, sondern um ein bisschen Wirbel, um von seinen Berliner Problemen abzulenken. Die sind tatsächlich da, keine Frage: schlechtestes SPD-Ergebnis bei einer Bundestagswahl aller Zeiten, zum ersten Mal überhaupt auch in Umfragen hinter der Linkspartei, Ärger in der Koalition beim zentralen Thema Wohnungsbau, Debatte um Obdachlosen-Abschiebungen. Da kann einer durchaus auf die Idee kommen, mit einem pointierten Vorschlag die öffentliche Aufmerksamkeit auf etwas ganz anderes zu lenken.

Hat er, hat er nicht? Alles Mutmaßung. Aber selbst, wenn: Dann ist es eben eine Win-win-Situation. Müller hat erstens gezeigt, dass auch das meist allein repräsentative Amt des Bundesratspräsidenten Gewicht genug hat, eine Debatte auslösen zu können – und hat damit das Amt aufgewertet. Müller hat zweitens der Thematik Grundeinkommen eine neue Öffentlichkeit verschafft, von der auch die profitieren, die gar nicht Müllers „solidarisch“ betitelte Variante wollen, sondern eine „bedingungslose“.

Und wenn Müller sich damit drittens eine Verschnaufpause vor dem SPD-Landesparteitag am 11. November – Kalauer: „Närrische Verhältnisse bei den Sozis“ – verschafft, dann hat er sich das durch Punkt eins und zwei durchaus verdient.

Stefan Alberti

Sein Soll eigentlich schon erfüllt

Stefan Alberti über Michael Müllers Vorschlag eines solidarischen Grundeinkommens

Lieber den Frauentag nehmen

Reformationstag als ständiger Feiertag?

Dass dieses Jahr am Dienstag die ganze Republik in den Genuss eines zusätzlichen freien Tages gekommen ist, liegt am 500-jährigen Reformationsjubiläum. Ob sich das mit Luthers 95 Thesen im Jahre 1517 tatsächlich so abgespielt hat oder nicht: „Die Art und Weise, wie in den vergangenen 365 Tagen das Reformationsjubiläum gefeiert worden ist, zeigt, dass es Raum gibt für einen Tag, der die Bedeutung der Religion und ihrer Funktionen in unserer Gesellschaft einschreibt“, offenbart sich der hannoversche Landesbischof Ralf Meister als Fan eines bundesweiten Feiertages.

Aber warum ist der Reformationstag das eigentlich nicht jedes Jahr? In den neuen Bundesländern ist es schon so. Niedersachsen scheint nun auf den Geschmack gekommen zu sein. Der alte und wohl auch neue Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) möchte den künftig festen Reformationsfeiertag in den Koalitionsverhandlungen mit der CDU einbringen. Ein Feiertag mehr als Leckerli für eine Regierungsbildung – vielleicht eine Idee für die Jamaika-Unterhändler im Bund?

Wobei die kommende Bundesregierung hier wenig zu sagen hat. Der einzig bundesrechtlich festgelegte Feiertag ist der Tag der Deutschen Einheit. Ansonsten sind Feiertage Ländersache. Während Bayern sich mit 13 Tagen Feiertags-Spitzenreiter nennen darf, sind es bei den Schlusslichtern Berlin, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein nur bescheidene neun.

In Berlin gab es in den vergangenen Tagen Stimmen, die einen dauerhaften Feiertag am 31. Oktober befürworten. In einer Zeit, in welcher die Menschen am Wochenende arbeiten und ihre Mails nach Dienstschluss lesen, kann ein weiterer arbeitsfreier Tag ein Signal der Politik sein: Auch die Bevölkerung in der hektischen Hauptstadt hat ein Recht auf Momente des Innehaltens.

Dafür muss aber nicht der Reformationstag herhalten. Warum braucht es einen weiteren Feiertag mit religiösem Hintergrund, treten doch immer mehr Menschen aus der Kirche aus? Und bei Luther lässt sich nicht wegdiskutieren, dass er überzeugter Antisemit war – das in der weltoffenen und toleranten Metropole feiern?

Es gäbe viele andere, bessere Daten: Der 10. Dezember ist Tag der Menschenrechte. Am 20. November feiern die UN den Internationalen Tag der Kinderrechte. Und am Internationalen Frauentag versammeln sich jährlich Tausende BerlinerInnen, um vorm Brandenburger Tor für mehr Frauenrechte zu demonstrieren. Den 8. März offiziell zu einem Berliner Feiertag zu machen – das wäre in Zeiten von Donald Trump und Co. ein starkes Zeichen.

Sophie-Isabel Gunderlach

Das Leben vom Anderen

Prozess um den „Tiefkühltruhen-Mord“

Mordprozesse, die einiges an Aufmerksamkeit erregen, werden nicht selten mit Schlagworten katalogisiert, das Unfassbare verschwindet dann hinter einem Wort. „Tiefkühltruhen-Mord“ wird jener Prozess genannt, der nun am Mittwoch vor der 40. Großen Strafkammer des Moabiter Kriminalgerichts nach einem zähen Präludium seinen Auftakt gefunden hat.

Angeklagt ist der 56-jährige Trödelhändler Josef S.; er soll zwischen dem 30. Dezember 2006 und dem 1. Januar 2007 den damals 80-jährigen Rentner Heinz N. in dessen Wohnung in Prenzlauer Berg erschossen, die Leiche zerteilt und in einer eigens zu diesem Zwecke angeschafften Tiefkühltruhe am Tatort eingefroren haben. Der Angeklagte habe nach dem Mord die Rente seines Opfers in Höhe von um die 2.000 Euro monatlich „vereinnahmt“, wie es der Staatsanwalt ausdrückt. Über zehn Jahre ging das so.

Man mag sich diese Tat in all ihrer Grausamkeit nicht ausmalen wollen. Wie einer so etwas tut und dann so weitermacht, als sei nichts gewesen. Es war ja mit dem Mord und der Nachbehandlung der Leiche nicht getan: Dem S. wird vorgeworfen, in den Jahren danach einiges unternommen zu haben, um möglichst lange etwas vom Leben des Anderen zu haben. Den Briefkasten des N. leeren, die Einkommensteuererklärung des Opfers machen und ans Finanzamt schicken, den Nachbarn, der ihn eines Tages fragte, wo denn der N. sei, freundlich abwimmeln, immer mal lüften.

Die Anonymität der großen Stadt wird herangezogen, um die lange unbemerkte Abwesenheit des N. zu erklären. Die Tat an sich macht das nicht fassbarer, und es scheint in diesem Falle auch anders gewesen zu sein. Denn der Nachbar, der den S. nach dem Verschwundenen fragte, ließ keine Ruhe, schrieb die Hausverwaltung an, ging zur Polizei und ins Rote Rathaus, weil er dachte, dort werde man ihn nicht abwimmeln.

Es geschah nichts, bis er eine Polizeistreife dazu brachte, nachzusehen. Das war am 9. Januar, wenig später wurde S. festgenommen, seither sitzt er in Untersuchungshaft. Der Prozess wird kommenden Mittwoch fortgesetzt, der Nachbar einer der wichtigsten Zeugen sein. Josef S., sagte sein Anwalt, will sich zur Sache äußern.

Felix Zimmermann