Esther Slevogt
betrachtet das Treiben auf Berlins Bühnen
:

Weltverbesserung gehört zu den notorischen Aufgaben der Theaterleute. Andere Auftraggeber als sie selbst können allerdings selten ausgemacht werden. So sind die Zuschauer gelegentlich auch ziemlich geplagt von den Hervorbringungen dieser Selbstbeauftragung. Und die Zuschauerinnen wahrscheinlich auch. Den Allermeisten würde es nämlich reichen, wenn sich Theatermacher*innen erst einmal der Theaterverbesserung widmen würden, bevor sie zur Weltverbesserung schreiten. Nach immer wieder schwer durchlittenen Abenden wissen wir als professionelle Theaterbeobachter*innen genau, wovon wir reden, und sehen in der Theaterverbesserung eigentlich Auftrag und Aufgabe genug. Aber: ­Manche können es nicht lassen. Milo Rau ist permanent auf Weltverbesserungsmission. Vom Kongo bis nach Moskau reicht der Radius seiner weitgespannten Aktivitäten. Mal macht er Theater, gern greift er auch zum Mittel des Tribunals, wenn lokale Gerichtsbarkeit ihm insuffizient erscheint.

In Berlin kann man aktuell an der Schaubühne dem russischen Revolutionsführer Lenin in einem Stück von Milo Rau beim Sterben zusehen. Und weil Lenin eben tot ist, kam wahrscheinlich die Frage auf: Wer soll sich jetzt, bitte schön, um die Revolution kümmern? Und so ruft Milo Rau in der Schaubühne eine Art UNO-Vollversammlung ein. Denn so groß der Missstand, gegen den hier angetreten werden muss: „Auf globaler Ebene existieren keine demokratischen Strukturen, die den Weltmarkt regulieren, völkerrechtliche Verstöße verfolgen oder ökologische Entwicklungen in sinnvolle Bahnen leiten könnten“, verkündet die Schaubühne im Auftrag von Milo Rau. Die „General Assembly“, so heißt die Veranstaltung, die hiergegen etwas unternehmen will, hat also 60 Abgeordnete aus der ganzen Welt in Berlin versammelt. In fünf Plenarsitzungen wird an die Theaterabgeordneten die Frage herangetragen, „wo wir als Weltgemeinschaft stehen und was zu tun ist – sozial, ökologisch, technologisch, politisch.“

Drei Tage dauert das Spektakel, das die Schaubühne in aller Bescheidenheit als „das erste Weltparlament der Menschheitsgeschichte“ bezeichnet. Am Ende wird eine „Charta für das 21. Jahrhundert“ verabschiedet. Am 7. November kann man dann symbolisch auch noch den Reichstag stürmen. Wie dereinst die Bolschewisten das Winterpalais in St. Petersburg. Die ja vor hundert Jahren mit ihrem Projekt der Menschheitsbeglückung tendenziell das Gegenteil erreichten (Schaubühne: „General Assembly“, 3.–5. 11. , Sturm auf den Reichstag, 7. 11., 15 Uhr).