In die Enge getrieben

„Die Entführung Europas“ im Berliner Ensemble, „Feminista, Baby!“ am Deutschen Theater:Das Theater reibt sich am Diskurs und kokettiert mit geschichtsphilosophischen Schwergewichten

Jörg Pose, Bernd Moss und Markwart Müller-Elmau in „Feminista, Baby!“ im Deutschen Theater Foto: Arno Declair

Von Katrin Bettina Müller

Dass Angela Merkel und Gerhard Schröder sich einmal so gut verstehen würden, wer hätte das gedacht. Und ausgerechnet beim Thema der weiblichen Überlegenheit stoßen sie ins gleiche Horn mit amüsiertem Augenaufschlag. Möglich wird das mit einem Trick im Deutschen Theater und guter Synchrontechnik. Der routinierte Videoschnipsler Jürgen Kuttner hat zusammen mit Co-Regisseur Tom Kühnel die Fernsehbilder einer alten Talkshow der Politikgrößen mit Texten von Valerie Solanas unterlegt, aus ihrem vor fast fünfzig Jahren erschienenen SCUM-Manifest. Live sprechen die drei Schauspieler (Bernd Moss, Jörg Pose, Markwart Müller-Elmau) ins Mikrofon und passen die fulminanten Sätze, voll des Spotts über den erkenntnisunfähigen Mann, der Mimik der Politiker an. Klar, das ist sehr lustig.

Viel Diskurs und viel Spaß boten zwei der Premieren am letzten Wochenende. Kühnel/Kuttner hoben mit „Feminista, Baby!“ im Deutschen Theater ein fast 50 Jahre altes Manifest auf die Bühne, das schon durch die Radikalität seiner Fantasien verblüfft. Sieht man dem Y-Chromosom denn nicht schon an, dass ihm ein Beinchen fehlt und es also stets der Vollständigkeit des X-Chromosoms hinterherhechelt? Biologistischen Fundamentalismus karikieren, das konnte die amerikanische Autorin Solanas wunderbar, und mit Genuss zelebrieren das die drei Schauspieler, nachdem sie sich als Frauen kostümiert haben, nein, als dreimal Marilyn Monroe.

Im Kleinen Saal des Berliner Ensembles war Heiner Müller die denkerische Größe, an der sich ein Stück von Alexander Eisenach rieb, „Die Entführung Europas oder der seltsame Fall vom Verschwinden einer Zukunft“. Eisenach, Regisseur und Autor, stellt sich damit in Berlin am BE erstmals vor. Das Bühnenbild von Daniel Wollenzin, mit schräg zulaufenden Wänden im Schachbrettmuster, setzt auf Klaustrophobie, und in die Enge treiben Text und Stück.

Ein Detektiv namens Max Messer (Christian Kuchenbuch) wird auf die Suche nach Europa geschickt. Europa ist dabei die verschwundene Frau eines Zahnarztes, die Geliebte einer Toten, eine metaphorische Figur und am Ende ein finsterer Abklatsch von Colonel Kurtz, bekannt und berüchtigt aus „Apokalypse Now“. Der Detektiv findet heraus, dass Europa nicht entführt wurde, sondern im Kongo sitzt und alle Verbrechen der Kolonialherrschaft begeht, die denkbar sind. Und dass Europas Alter Ego, der Kontinent, genau davon nichts wissen will.

Diese Kolonialismuskritik setzt sich aus vielen Zitaten von Heiner Müller, Walter Benjamin, Joseph Conrad u. a. zusammen, äußerst anspruchsvolle Textfragmente, denen inhaltlich nicht so schnell zu folgen ist, wie sie gesprochen werden. Das Schauspiel hängt sich dabei das Mäntelchen einer Kriminalgeschichte um, mit vielen schwarz-weißen Filmbilder schön stilisiert. Das passt ja, es geht um die Suche nach dem Verborgenen, den Leichen im Keller, nicht nur des Zahnarztes, sondern eben der europäischen Geschichte.

Sieht man dem Y- Chromosom denn nicht an, dass ihm ein Beinchen fehlt?

Unterhaltsame, gruselige Zwischenstücke werden eingeschoben, wenn zum Beispiel der Zahnarzt seine Instrumente vorführt. Teils amüsiert sich dieses Theater auch über sich selbst und die Gegenwart, in der eine ordentliche Kartoffelsalatschlacht (Verbeugung an Frank Castorf) nicht mehr möglich ist, weil nur noch Blatt- und Spinatsalat in der Schüssel ist. Am Ende aber fehlt es dem Stück an Denkschärfe, es türmt Behauptungen übereinander und gefällt sich darin, Europa als großen Verbrecher, als ausbeuterisches Syndikat zu brandmarken.

Nun ist Theater mit theoretischen und philosophischen Texten zu gestalten, keine einfache Sache, das zeigte sich auch bei „Feminista, Baby!“. Die Konzentration, um in den Wortschwall des Manifestes einzutauchen und den Worten auf den Fersen zu bleiben, muss immer wieder hergestellt werden. Während Eisenach das am BE eben mit einer angeblichen Krimihandlung versuchte, ließ man am DT den Text als Manifest bestehen, unterbrochen aber von alten und neuen Liedern von Christiane Rösinger, die in die Gegenwart spulten, in die Gegenwart der mit dem Feminismus älter gewordenen Frauen, die sich gerade mal noch mit Gelassenheit die Bitterkeit vom Leib halten können, immer noch hintenangesetzt zu werden.

Neben diesen schönen Musikunterbrechungen aber fehlte der Inszenierung eine Ebene der Reflexion, die den Geschlechterkampf der späten 1960er Jahre in Beziehung zur Gegenwart gesetzt hätte. Aber immerhin, Solanas’ Text kann man hier auf sehr vergnügliche Weise kennenlernen.