1. Gehört der Kommunismus auf den Müllhaufen der Geschichte – oder ist noch etwas recycelbar?
2. Welche Revolution wird die nächste sein?

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1. Natürlich gehört er nicht auf den Müllhaufen, aber da wir ihn nie erlebt haben, wird der Kommunismus immer eine schöne Utopie bleiben, und das brauchen wir.

2. Ich kann mir heutzutage kaum noch eine richtige Revolution vorstellen. Den meisten Menschen geht es zu gut und sie sind nicht bereit, für die Gesamtheit ihr eigenes Ego zu beschädigen. Man meckert da, wo es nicht wirklich schaden kann, aber man meckert schön mit …

Katrin Sass ist Schauspielerin. 2001 verkörperte sie in „Good Bye Lenin“ Heidi M.

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1. Die Menschen werden weiterhin besser leben wollen. Sie wissen: Jede Verbesserung klappt nur durch Kooperation, Solidarität und Zusammenhalt mit den anderen. In die Zukunft blickend, wird der Mensch den Gedanken des Kommunismus nicht los. Denn der Kommunismus ist eine solidarische Gesellschaft, wo das Allgemeinwohl mehr als die Ansprüche jedes Einzelnen zählt. Die Alternative, die einen Teil der Menschen auf Kosten eines anderen Teils leben lässt, führt zwangsläufig zum Faschismus. Da sagen die Deutschen als Erste „Nein danke, hatten wir schon, hat nur Leid und Elend gebracht.“

2. Die nächste Revolution ist bereits in vollem Gange, sie heißt Migration. Anstatt dein Leben und das deiner Familie zu riskieren, um politische Reformen in einem von Autokraten besetzten Land zu beschleunigen, deren positive Folgen möglicherweise nicht einmal deine Enkelkinder erleben, ziehe doch samt der Familie um, dorthin, wo eine solidarische Gemeinschaft bereits besteht, so denken viele. Auf diese Weise wird unser Planet nicht mehr rund, sondern eckig.

Wladimir Kaminer ist Schriftsteller

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1. Echte demokratische Organisationen wie die Räte in der Frühzeit der Sowjetunion bleiben eine gute Idee. Ebenso von genialen Architekten entworfene Wohnungen für Arbeiter und Arme, Widerstand gegen imperialistische Kriege und Kolonialismus, das Recht auf nationale Selbstbestimmung und der Schutz der Natur (sogar heute verfügt Russland noch über mehr natürliche geschützte Lebensräume als andere Länder). Die Rote Armee brach dem deutschen Faschismus das Rückgrat und 1917 war Blaupause der chinesischen, vietnamesischen und kubanischen Revolution. Also ja, es gab Gutes. Der Sozialismus hat einmal verloren und wird auf dem Müll entsorgt. Der Kapitalismus ist mehrfach gescheitert und wird noch immer wertgeschätzt.

2. Schwer zu sagen. Aber am besten wären eine in den USA. Die entwickelten Produktivkräfte, die dritte technologische Revolution, verkörpert im Internet, sind die notwendigen Voraussetzungen für eine soziale Transformation, die einen nachhaltigen Erfolg und eine globale Planung zur Rettung der Erde gewährleistet.

Tariq Ali ist britischer Autor, Filmemacher und Historiker. Er diskutiert am 3. November in Berlin in der Rosa Luxemburg Stiftung über 1917.

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1. Mit den Worten „Kommunismus den Kommunisten“ verabschiedeten Akteure von 1989 eine Jahrhundertlüge, ein gesellschaftliches Großexperiment, das zum Jahrhundertverbrechen wurde. Eine Empfehlung, die Gebrechen des Kapitalismus mit der Geißel des Bolschewismus auszutreiben (Slavoj Žižek), gleicht dem Rat, die AFD zu wählen, um die deutsche Demokratie zu retten. Wem es als Linker heute wirklich um Solidarität und soziale Gerechtigkeit geht, der sollte den Weg Ernst Reuters und Willy Brandts wählen

2. In Diktaturen und autoritären Regimen wird es immer wieder zu Revolten und Aufständen kommen, die nur dann dem Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt entgehen, wenn die Kräfte der Veränderung den Weg zur Demokratie finden. In europäischen Demokratien führt kein Weg an neuen Koalitionen und Bündnissen vorbei, die soziale Schieflagen ausgleichen, sich der Balance von Freiheit und Gerechtigkeit stellen.

Wolfgang Templin ist Bürgerrechtler und Publizist

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1. „Gleichheit oder der Tod“: Das wird bestimmt immer wieder versucht.

2. Yuval Noah Harari: „Eine Revolution, die sich vorhersehen lässt, bricht erst gar nicht aus.“

Peter Gauweiler ist CSU-Politiker und Rechtsanwalt

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1. Wir haben elementare Aspekte des Kommunismus schon vor mehreren Jahrzehnten recycelt: die Idee der universellen Krankenversorgung, einer teuren Erziehung für die Armen oder das Recht auf ein Mindestlebensstandard – nichts davon wäre von den kapitalistischen Gesellschaften des Westens übernommen worden, hätte es nicht die kommunistische „Bedrohung“ infolge der Russischen Revolution gegeben. Deswegen folgte auf den Zusammenbruch des kommunistischen Regimes auch schnell der Rückbau des Wohlfahrtsstaates, des öffentlichen Bildungswesens, der Solidarität. In gewissem Sinne hat der Kommunismus den Kapitalismus mit einigen seiner grundlegenden Prinzipien durchdrungen – und so die Durchschlagkraft des Kapitalismus gestärkt.

2. Die künstliche Intelligenz untergräbt zunehmend die Fähigkeit des Kapitalismus, ausreichende Nachfrage nach von ihm produzierten Gadgets und Robotern zu generieren. Soziale Stabilität wird davon abhängen, ob wir ein anderes kommunistisches Prinzip wiederbeleben: die gemeinsame Nutzung des von den Robotern produzierten Wertes (die neuesten Produktionsmittel, wie Marx sie beschrieben hätte). Die Verstaatlichung der Roboter wird die nächste Revolution sein.

Yanis Varoufakis war griechischer Finanzminister und engagiert sich heute bei der europäischen Initiative DiEM25

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1. Der Kommunismus ist doch schon Geschichte. Trotzdem – oder ebendeshalb – stellt sich immer dringender die Frage, ob dem Kapitalismus die Zukunft gehören kann. Die Forderung von Marx, „alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“, bleibt in ­jedem Fall aktuell.

2. Es wird eine demokratische Revolution sein, die sich gegen Mächte und Institu­tio­nen richtet, die niemand gewählt hat, die von keinem Parlament kontrolliert werden und die trotzdem unser Leben bestimmen. Ich denke dabei an Finanzmärkte, Investmentbanken und Ratingagenturen, an große Konzerne und ihre Lobbyverbände, an Geheimdienste oder an den Internationalen Währungsfonds, der verschuldeten Ländern die Politik diktiert.

Sahra Wagenknecht ist Fraktions­vorsitzende der Linkspartei im Bundestag

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1. Die Idee des Kommunismus, d. h. die Idee von Gleichheit und gleichen Möglichkeiten für alle, ist sehr verführerisch. Doch in der Praxis sieht es so aus, dass den Anhängern dieser Idee deren Umsetzung nicht gelingt und sie dann unausweichlich zur Gewalt greifen. Bisher hat es jedenfalls keine anderen Varianten der Umsetzung der kommunistischen Idee gegeben. Und da nach Marx die Umsetzung der Ideen des Kommunismus mit einer Revolution beginnt, d. h. mit Blut, ist diese Idee für mich in keinster Weise attraktiv. Offensichtlich sind wir, die Menschheit, so angelegt, dass eine kommunistische Struktur nichts für uns ist. Und dies bedeutet, dass man von Versuchen ablassen muss, unsere Gesellschaft so zu organisieren. Jedenfalls ist das Beste, was wir uns bisher haben einfallen lassen, die freie Demokratie.

2. Das weiß ich nicht. Ich hoffe aber sehr, dass es in Russland keine Revolution geben wird. Ich bin für die Evolution ohne Revolutionen. Doch einige meiner Kollegen glauben nicht mehr an die Möglichkeit friedlicher Veränderungen in Russland.

Swetlana Alexejewna Gannuschkina ist russische Mathematikerin und Menschenrechtlerin

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1. Die bisherige Geschichte des Kommunismus war vermutlich eine Verwechslung. Kommunismus bedeutet nicht, dass die Produktionsmittel dem Staat, sondern, dass sie den Arbeitern oder Angestellten gehören. Stellen Sie sich vor, amerikanische Arbeiter übernähmen ein Werk von GM, das stillgelegt werden soll. Ob eine solche Idee auf den Müll gehört, weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass es unter den gegeben Umständen kaum möglich wäre, sie zu realisieren.

2. Die gegenwärtigen und wahrscheinlich auch die zukünftigen Revolutionen werden vom Kapital gemacht oder wenigstens von ihm vereinnahmt. Der neue Kapitalismus ist digital, multikulturell und politisch korrekt. Sogar seine Opfer, die jetzt zu Hunderttausenden zu uns kommen, wollen ihn. Die nächste Revolution wird vielleicht das autonome Fahrzeug oder das genetisch assemblierbare Kind, jedenfalls irgendwas, das man bezahlen muss. Der Rest ist Plastikmüll. Und selbst der wird in den seltensten Fällen recycelt.

Eugen Ruge ist Schriftsteller, Regisseur und Übersetzer aus dem Russischen