piwik no script img

Der richtige Ton beim ersten Mal

„Es war einmal Indianerland“ von İlker Çatak ist ein „Coming of Age“-Film mit Schnelldurchlauf. Gedreht wurde auch in Hamburg

Von Wilfried Hippen

Was einem „Coming of Age“-Geschichten oft weis machen möchten: Das Leben ist nie wieder so intensiv wie in der Zeit, wenn Erfahrungen zum ersten Mal gemacht werden. Der erste Kuss, die erste großen Enttäuschung, die erste Drogenerfahrung. Das Genre wendet sich nicht nur unbedingt an die jeweiligen Altersgenossen der Charaktere, sondern an den Zuschauer generell, denn jeder hat das ja mal mitgemacht.

Wichtig ist es, hier den richtigen Ton zu finden, und das ist dem Hamburger Autoren Nils Mohl in seinem Roman „Es war einmal Indianerland“ offensichtlich gelungen, denn er wurde zum Bestseller. Der Roman wurde nun zum Teil dort verfilmt, wo er spielt: in den Betonwohnblöcken von Hamburg-Jenfeld. Regie führte İlker Çatak, der 2015 für seinen Kurzfilm „Fidelity“ den Studenten-Oscar gewann. Aber auch der Autor hat am Drehbuch mitgearbeitet. Zusammen haben sich Mohl und Çatak viel Gedanken darüber gemacht, wie man das subjektive Erzählen aus dem Buch in den Film hinüberretten könnte.

Dafür haben sie den Film so gebaut, wie es den Sehgewohnheiten eines jungen Publikums entspricht. Am Anfang gibt es einen Trailer, bei der die dramatischen Höhepunkte schon mal kurz angespielt werden. Es wird oft in der Geschichte vor und zurückgesprungen. Bei einem langen Dialog taucht unten am Bildrand das Fast-forward-Icon auf und diese Sequenzen werden im Schnelldurchlauf präsentiert. Der „erste Kuss“ wird in Textfenstern angekündigt, und die Geschichte wird zwar chronologisch erzählt, dies ist aber durch die hyperaktive Fragmentierung kaschiert.

Leonard Schleicher spielt den Protagonisten Mauser bei all der Hektik der Inszenierung erstaunlich ruhig und zurückhaltend. Der 17-jährige will Boxer werden und erzählt wird von den Tagen vor seinem ersten wichtigen Kampf. Er verliebt sich in eine ziemlich kapriziöse Schönheit aus besseren Kreisen, während eine Brillenträgerin, die im Laden um die Ecke arbeitet, sich in ihn verguckt hat. Mausers Vater tötet seine Stiefmutter und auf der Suche nach ihm landet Mauser selbst auf einem psychedelischen Popfestival, wo dann alle Handlungsträger wieder zusammentreffen.Dass der Vater gleich zum Mörder werden muss, ist etwas übertrieben und wird zumindest im Film nicht plausibel begründet.

Aber da alles aus der reichlich unzuverlässigen Perspektive von Mauser erzählt wird, sind die Übergänge zwischen dreckigem Sozialrealismus und knallbunter Fantasiewelt fließend. Den für den Titel so wichtigen Indianer sieht der Zuschauer nur als eine mythische Figur, und zum Beispiel, wenn ihm auf dem Festival Halluzinogene in den Eintopf gerührt werden. Wichtig ist nicht, was passiert, sondern wie es sich für Mauser anfühlt, und in diesem Sinne hat Çatak genau den richtigen Ton getroffen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen