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Kambodschas vergrabene Bilder

Filme aus asiatischen Ländern wie Kambodscha, Sri Lanka und Bhutan stehen beim 32. Unabhängigen Filmfest Osnabrück im Mittelpunkt

Verbotene Fotos: Familienerinnerungen wurden in Kambodscha aus Angst vor den Roten Khmer versteckt Foto: Filmfest Osnabrück

Von Wilfried Hippen

Ein Bilderverbot im Hause seiner Eltern inspirierte den jungen Kambodschaner Kim Hak, selbst Fotograf zu werden. Wie viele andere Bauern vergruben auch seine Eltern vor 39 Jahren, unter dem Terrorregime der Roten Khmer ihre Familienfotos auf den Feldern. Sie hatten Angst, die Bilder könnten als Belege für ihren gesellschaftlichen Status gegen sie verwendet werden. Hak reiste durch das ganze Land, um Bilder zu machen, auf denen nichts an die Roten Khmer erinnert.

Der Regisseur des Film „Hidden Photos“ (Freitag, 20 Uhr), der Italiener Davide Grotta, hat selbst einige Jahre in Kambodscha gelebt und als Fotograf gearbeitet. Deshalb stehen Fotografien auf mehreren Ebenen im Mittelpunkt dieses Films, der zeigt, wie die Menschen in Kambodscha mit den Erinnerungen an das Terrorregime der Roten Khmer umgehen.

Auf dem unabhängigen Filmfest Osnabrück, das gestern Abend eröffnet wurde, bilden Filme aus Asien in diesem Jahr den Schwerpunkt. Und zwar nicht aus den großen Filmnationen wie Japan, China und Südkorea, sondern Produktionen aus cineastisch noch unentdeckten Regionen wie Bhutan, Sri Lanka und Kambodscha.

Für „Hidden Photos“ besucht der Protagonist Kim Hak seine Eltern, die sich von ihm dabei fotografieren lassen, wie sie auf dem gleichen Feld wie damals nachspielen, wie sie eine Plastiktüte mit ihren Erinnerungsbildern vergraben. Der Fotograf Nhem Ein, ehemals „Hof-Fotograf“ des Regimes, hat damals Zehntausende von Gefangenen fotografiert, die direkt danach hingerichtet wurden. Er ist heute noch stolz auf diese Arbeit und versucht sie zu kommerzialisieren, indem er die Bilder in Büchern veröffentlicht und plant, aus den Ruinen der Schauplätze des Massenmords Touristenattraktionen zu machen.

Grotta hält sich als Regisseur extrem zurück. Er zeigt nur die Fotos und wie die beiden Fotografen sowie die Eltern von Kim Hak sich vor seiner Filmkamera inszenieren. So ist ihm ein Film mit einer beeindruckenden analytischen Schärfe gelungen, in dem er die Frage stellt, in welchem Maße Bilder die kollektiven Erinnerungen einer Gesellschaft formen können.

„Hidden Photos“ läuft im Wettbewerb um den Friedensfilmpreis, der mit 12.500 Euro dotiert ist. Dafür nominiert ist auch „Demons in Paradise“ (Samstag, 20 Uhr), den der Tamile Jude Ratman in seinem Geburtsland Sri Lanka gedreht hat. Im Jahr 1983 floh er als Fünfjähriger vor den Pogromen der singhalesischen Mehrheit an der hinduistischen Minderheit Sri Lankas nach Kanada. Als Dokumentarfilmer kehrte er zurück, um die Geschichte des Bürgerkriegs zum ersten Mal aus der Perspektive der Tamilen, also der Verlierer, zu erzählen.

Zuerst scheinen die Fronten deutlich gezogen: hier die verfolgte Minderheit, dort die zu brutalen Gewalttaten fähigen Unterdrücker. Doch dann erzählen ehemalige tamilische Kämpfer, wie ihre Organisation, die Tamil Tigers, in ihren Gebieten ein Schreckensregime errichtete, das alle Kritiker in den eigenen Reihen liquidierten, folterte und die eigene Landbevölkerung terrorisierte.

Kim Hak reiste durch das ganze Land, um Bilder zu machen, auf denen nichts an die Roten Khmer erinnert

Zehn Jahre lang hat Ratman an diesem Projekt gearbeitet und dann eine angemessene Form gefunden, um klar und eindrucksvoll die Ergebnisse seiner Recherchen zu präsentieren. Er erzählt im Stil eines Reisefilms, auf dessen Stationen er Zeitzeugen besucht, sie erzählen lässt, zum Teil auch mit ihnen an die historischen Originalschauplätze fährt und sie dort Schlüsselsituationen nachspielen lässt. Sein Film ist ein eindrucksvoller Beleg dafür, wie lebendig und emotional mit den Mitteln der „Oral History“ Geschichte vermittelt werden kann.

Die deutsche Regisseurin Irja von Bernstorff wollte durch ihre Arbeit etwas verändern und sah die Chance dazu in Bhutan. Dort gibt es noch so gut wie keine Kultur der visuellen Medien. Die Dokumentation „The Farmer and I“ (Samstag, 15 Uhr) thematisiert die Landflucht, die, nach Meinung der Regisseurin, die Landwirtschaft ruiniert. So bot von Bernstorff dem einzigen Sender des Landes an, eine Fernsehserie zu produzieren, durch die ein positives Bild vom Landleben an den Hängen des Himalaya vermittelt werden sollte. Ihr Protagonist, der charismatische Bauer Sangay, war Hauptdarsteller, Drehbuchautor und Produzent der 25-teiligen Serie in einem – und hatte ein ähnlich großes Ego wie von Bernstorff. Schon wenige Tage nach Beginn der Dreharbeiten begannen die beiden sich darüber zu streiten, wer das Sagen am Filmset hatte. Über diese Schwierigkeiten hat von Bernstorff ihren Film gemacht.

Während die Darsteller eher hölzern agieren (es gibt in Bhutan kaum professionelle Schauspieler) und die Botschaft penetrant aus jeder Textzeile herausschallt, gibt es in den dokumentarischen Sequenzen Tränen, Verzweiflung, Eitelkeiten und anrührende Momente der Versöhnung. Das ist mal komisch, wenn Sangay die Luftmatratze der Regisseurin wie einen dekadenten Luxusgegenstand verdammt, und dann wieder hoch dramatisch, wie bei der Abnahme der ersten Folge durch die Redakteure des Senders, die in einem Weinkrampf endet. „The Farmer and I“ ist einer der gar nicht so seltenen Fälle, bei denen das „Making of“ der bessere Film ist.

Unabhängiges Filmfest Osnabrück: 18.–22. Oktober. Programm unter www.filmfest-osnabrueck.de

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