Atomdebatte ohne Kritiker

Die französische Atomindustrie organisiert Diskussionen über ein Endlager in Bure

PARIS taz ■ Eine „öffentliche nationale Debatte“ – so heißt der Veranstaltungsmarathon, den die französische Atomindustrie seit dieser Woche in dem ostfranzösischen Département Meuse organisiert. Bei Diskussionsveranstaltungen in 13 Orten rund um Bure will sie die Zustimmung der örtlichen Bevölkerung zu einem Atommülllager in 500 Meter Tiefe bekommen. Im nächsten Frühjahr, beinahe gleichzeitig mit dem 20. Jahrestag des Atomunfalls von Tschernobyl, soll dann ein Gesetz festlegen, wo der Müll, den Frankreichs 85 Reaktoren produzieren, langfristig eingelagert wird.

De facto ist Bure mit seinen tiefen Tonschichten längst der Ort, den die französische Atomindustrie auserkoren hat. Auch deutscher Atommüll könnte hier ein Endlager finden. Nach dem „Bataille-Gesetz“ aus dem Jahr 1991, das nach Forschungen an mehreren alternativen Standorten verlangte, hatte die Industrie zwar vorübergehend auch Bohrungen an anderen Orten erwogen, aber alle wieder verworfen. So etwa Chatinais im Département Vienne. In dem Dorf, das auf Granit gebaut ist, vergiftete die Atommülldebatte das Klima derartig, dass der Bürgermeister Anfang 1994 Selbstmord beging.

In Bure hatte die Atomindustrie bereits Anfang des Jahrtausends mehr als 100 Millionen Euro für das Lager ausgegeben. Auf dem 1999 erworbenen Gelände hat sie in mehr als 450 Meter Tiefe zwei Labors eingerichtet. Und für die AtomforscherInnen steht fest: Ein Lager in Bure ist „technisch machbar“.

Es soll so groß werden wie eine Olympiaschwimmhalle und ab dem Jahr 2025 die ersten strahlenden Pakete aufnehmen. Der Inhalt von einigen davon wird nach heutiger Kenntnis tausende bis mehrere hunderttausend Jahre radioaktiv bleiben.

Industrieminister François Loos unterstützt die Atombranche. Nukleare Energie dürfe „kein Tabu“ sein, sagt er. Die gegenwärtigen Hochpreise beim Erdöl geben ihm scheinbar Recht. Nach französischer Logik ist Atomstrom „billig“. Und er sorgt für „energetische Souveränität“.

Frankreich hat die höchste AKW-Dichte der Welt: 58 Atomreaktoren versorgen das Land und seine Nachbarn mit Atomstrom. Der Prototyp der nächsten Generation Atomreaktoren, der EPR, ist bereits im Bau. Mehr als 50.000 Menschen arbeiten unmittelbar in der Branche.

Die AtomgegnerInnen, die überhaupt erst dafür gesorgt haben, dass die „große nationale Debatte“ organisiert wird, nehmen an den Gesprächen in Bure nicht teil. Sie nennen sie „eine Farce“. Ein Sprecher des Netzwerks Sortir du Nucléaire: „Das Ergebnis der Debatte steht schon vor Beginn fest.“ Statt nach Endlagern zu suchen, solle Frankreich aufhören, immer neuen Atommüll zu produzieren: „Niemand hat eine Lösung für den Atommüll.“

Am 25. September demonstrieren die Anti-AKWlerInnen in der Regionalstadt Bar-le-Duc. Corinne François von der Coordination contre l’enfouissement sagt: „Wir haben nicht das Recht, den Boden unter uns für die künftigen Generationen zu vergiften.“DOROTHEA HAHN