Keine konsequente Politik

Am Ende von Rot-Grün (V): Die Regierung hat sich beim Umweltschutz viel vorgenommen – und viel zu wenig erreicht. Ihr fehlte eine durchsetzungsfähige Lobby

Die SPD blockiert Fortschritte bei der immer noch maßgeblichen konventionellen Energieerzeugung

Der Kanzler fand starke Worte beim letzten großen parlamentarischen Auftritt dieser Wahlperiode: Seine Regierung werde „noch entschiedener eine Politik betreiben, die uns unabhängiger vom Öl macht“, verkündete er in seiner Regierungserklärung zur Energiepolitik. Eine Politik, „die der Klimakatastrophe entgegenwirkt“. Dass der Kanzler in diesem Wahlkampf noch den über Generationen hinweg denkenden Nachhaltigkeitsverfechter herauskehren würde, war nicht abzusehen.

Fortschritte wurden immerhin bei der berüchtigten Ressourcengerechtigkeit erzielt. Die bedeutet, dass nicht nur unsere Kinder und Enkel noch genügend Ressourcen für einen angebrachten Lebensstil vorfinden, sondern dass auch die ärmeren Länder der Welt nicht durch unseren Rohstoffkonsum in die Krise getrieben werden. Um diese Gerechtigkeit herzustellen, führte Rot-Grün 1999 die Ökosteuer ein und verteuerte so den Energieverbrauch. Die Einnahmen fließen in die Rentenkasse und senken die Lohnnebenkosten. Die Rechnung, „je höher die Ökosteuer, desto billiger die Arbeit, desto weniger Öl-, Gas- und Rohstoffverbrauch und desto mehr Arbeitsplätze im Bereich Energiesparen“, ging teilweise auf.

Die rot-grüne Ökosteuer ist daher ein Erfolg. Union und FDP hätten diese Ressourcensteuer nie eingeführt. Allerdings hat die Ökosteuer einen Haken: Die Bundesregierung will sie nicht weiter erhöhen; nach Protesten vieler SPD-Mitglieder, der Bild-Zeitung und der Industrie – aber auch, weil manche Grüne Angst vor der eigenen Courage bekamen. Dabei müsste die Umweltsteuer stetig steigen, um die Sozialbeiträge und den Naturverbrauch weiter zu senken. Auch wäre es sinnvoll, einige Ökosteuerlücken zu schließen – wie etwa bei Diesel, Heizöl und Flugbenzin.

Eine konsequente Politik, um Bürger und Unternehmen zu umweltfreundlichem Verhalten anzureizen, hat Rot-Grün nicht betrieben: Die Kohlesubventionen laufen weiter, die Eigenheimzulage fördert noch immer den Verbrauch von Natur, die Pendlerpauschale als Belohnung für eine weite Anreise zum Arbeitsplatz stieg sogar. Statt dies zu ändern, wurden die allgemeinen Steuersätze gesenkt und der Staat an den Rand der Handlungsunfähigkeit überall dort gebracht, wo eine Anschubfinanzierung durch die öffentliche Hand nötig ist oder wo er wie beim Naturschutz oder Verkehr mit Milliarden die Zukunft sichern muss.

Die Grünen und der Umweltflügel der SPD verweisen bei solchen Einwänden gern auf erfolgreiche Gesetze wie die Förderung regenerativer Energien. Mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) zahlt der Verbraucher eine geringe Umlage für garantierte höhere Preise der jeweiligen Energieform, von Wind über Solar bis zu Biomasse.

Das ist richtig, dank des EEG ist Deutschland hier Weltspitze. Aber auch im Energiebereich wäre noch mehr möglich gewesen. Hier blockierte das SPD-geführte Wirtschaftsministerium alles, was wirklichen Fortschritt bei der immer noch maßgeblichen konventionellen Energieerzeugung gebracht hätte – von der Aufsicht über Energiekonzerne bis zu den staatlichen Hermes-Bürgschaften für umweltzerstörerische Großprojekte im Ausland. Bleibt der Atomkonsens. Mit diesem Vertrag ist es immerhin gelungen, drei Atomkraftwerke abzuschalten, Atomtransporte zu begrenzen und die Wiederaufarbeitung in einigen Jahren zu beenden.

Völlige Fehlanzeige ist – wie bei allen Vorgängerregierungen – in einer nachhaltigen Verkehrspolitik zu vermelden. Hier sah Rot wie Grün kein Weiterkommen: Die SPD, weil sie billiges und schnelles Autofahren überwiegend als ein Grundrecht begreift; die Grünen, weil sie keine Chance gegen die Autonarren sehen. Auch die Lkw-Flut wurde nicht im Geringsten eingedämmt. Die Laster wurden auch nicht sauberer oder leiser, obwohl hier doch die Wähler sofort und direkt profitiert hätten. Beim Fliegen ist es ähnlich, und bei der Bahn weiß anscheinend ohnehin keiner, was er machen soll. Hier gab es viele Sonntagsreden und wenig Weichenstellungen in eine umweltfreundliche Richtung.

Ebenfalls ein Totalausfall war die Chemiepolitik. Wer durch die allgegenwärtige Chemie am Arbeitsplatz erkrankt, hat nach wie vor sehr geringe Chancen, von der Industrie als berufskrank anerkannt zu werden – obwohl sogar die SPD hier vor der Bundestagswahl 1998 Besserung versprochen hatte, der Staat durch chronisch kranke Arbeitnehmer viel Geld verliert und es nur ein paar kleiner Gesetzesänderungen bedürfte. Und im Bereich der Alltagschemie hintertrieb der Kanzler samt seinem Wirtschaftsminister eine EU-Richtlinie, die Risikotests für Chemikalien aller Art erforderlich gemacht hätte – in breiter Übereinstimmung mit den Chemiekonzernen und der Gewerkschaft Bergbau Chemie Energie. Statt Deutschland hier zum Beispiel mit einem staatlichen Forschungsprogramm zum Vorreiter für weniger giftige Chemiealternativen zu machen, verweigerte die Regierung jede Gesetzesinitiative. Nicht gerade eine nachhaltige Politik.

Warum war umweltpolitisch nicht mehr drin in immerhin zwei Legislaturperioden Rot-Grün? Der Kanzler vertraute offensichtlich seinen Bekannten in den Vorstandsetagen: Gib uns mehr Geld durch niedrigere Steuern und halte uns die Quälgeister vom Umweltflügel der Grünen vom Hals, dann läuft der Laden schon. Ähnlich sahen das die liberalen Wirtschaftsleute bei den Grünen. Zu spät merkten alle, dass die Industrie freiwillig nichts zurückgibt und dass die weltweite Situation rund um das Hochlohnland Deutschland nicht zu so einer Politik passte.

Die Ökosteuer müsste stetig steigen, um die Sozialbeiträge und den Naturverbrauch weiter zu senken

Wie wäre mehr Umwelt- und Naturschutz, mehr Nachhaltigkeit möglich? Darauf zu warten, dass eine Mehrheit der Bevölkerung diese Gebiete als wahlentscheidend begreift, ist müßig. Der eigene Geldbeutel war schon immer praktisch allen näher als das Wohl der Kinder und Enkel des Nachbarn. Und wenn der Zwang zu weniger Ressourcenverbrauch durch stetig teureres Öl und Gas, durch Terror oder Erpressung durch andere Länder von außen kommt, ist es zu spät. Wichtig wäre, dass der Umweltschutz eine stärkere eigene Lobby aufbaut. Voraussetzung dafür ist ein kräftiges Wachsen der Umweltbranchen. Nur mit der nötigen Wirtschaftskraft und der entsprechenden Zahl von Beschäftigten kann ein Gegendruck zu den Konzernen aufgebaut werden, die derzeit die Umweltpolitik bestimmen.

Das Erneuerbare-Energien-Gesetz ist hier ein gutes Beispiel. Kein Politiker kann die daraus entstandenen zukunftsfähigen Branchen wieder abwürgen, weil sie in wenigen Jahren Zehntausende von Arbeitsplätzen geschaffen haben. Hier ist noch viel möglich, von der grünen Chemie über erneuerbare Rohstoffe zu neuen Dienstleistungsberufen. Die entsprechenden Vertreter in den Parteien müssen es „nur“ schaffen, der kommenden Bundesregierung gleich welcher Farbe entsprechende Programme abzuringen.

REINER METZGER