piwik no script img

Wiedererweckte Visionen

AVANTGARDE-HIP-HOP Selbstbewusst durchs Unterholz am Rand der ausgetretenen Pfade voran: Mit Shabazz Palaces und THEEsatisfaction bietet das Grunge-Referenz-Label Sub Pop seit ein paar Jahren auch zukunftsweisenden Hip-Hop-Unternehmungen Unterschlupf

Verschroben, subtil-komplex – und ganz und gar nicht ironisch gemeint

VON ROBERT MATTHIES

Ganz nostalgisch gestimmt war Rich Jensen vor knapp drei Jahren plötzlich gewesen. Der Abend im Seattler Club Neumos, twitterte der Ex-Manager des ebendort ansässigen legendären Stromgitarren-Labels Sub Pop euphorisch und ein wenig kryptisch, erinnere ihn just an jenen denkwürdigen Tag im April 1991, an dem ein Trio aus Aberdeen zum ersten Mal seinen zukünftigen Durchbruchsschlager angestimmt hatte. Und damit kurze Zeit später nicht nur das titelgebende, längst in Sachen Popularität strauchelnde Teenager-Deodorant doch noch zu Weltruhm und ansehnlichen Verkaufszahlen kommen ließ, sondern vor allem zerschlissene Jeans, Holzfällerhemden und dreckig gespielte Gitarren unerwartet salonfähig und für Sub Pop eben auch ungemein einträglich machte.

Auf der Bühne standen an jenem, den Musik-Manager an alte Zeiten als Visionär erinnernden Abend indes zwei, deren Musik mit Powerchords und Dead Notes so gar nichts zu tun hatte. Ishmael Butler, der sich jetzt als Rapper seines kurz zuvor aus der Taufe gehobenen, vorerst aber nur anonym veröffentlichenden Duos Shabazz Palaces Palaceer Lazaro nannte, hatte sich, ein Jahr nachdem Nirvana, Soundgarden und deren unzählige musikalische Abziehbilder die Verkaufscharts umgekrempelt hatten, mit seinem Bebop-Rap-Trio Digable Planets im Goldenen Zeitalter des Alternativ-Hip-Hops einen guten und ein paar Jahre später auch mit seinem Blues-Hip-Hop-Projekt Cherrywine noch einen akzeptablen Namen gemacht – und dann etliche Jahre nicht viel von sich hören lassen.

Sein neuer Kompagnon, Perkussionist und Multiinstrumentalist Tendai „Baba“ Maraire, Sohn des simbabwischen Musikethnologen und Marimba-Virtuosen Dumisani Maraire, wiederum hatte sich bislang als Musiker und Manager seines Indie-Labels Maraire Enterprises zwar auch um Hip-Hop, vor allem aber um afrikanische und insbesondere traditionelle Musik aus Simbabwe verdient gemacht.

Was Butler und Maraire da nun in Seattle präsentiert hatten, klang jedenfalls, dem genrerelativ schon leicht betagten Alter der beiden Musiker zum Trotz, mit seiner verschrobenen, subtil-komplexen und ganz und gar unironischen Kombination aus Dubstep-Wobble- und Subbässen, seltsamen Metallklängen, kontraintuitiv zerklüfteten Beats, allgemeiner Düsternis und tiefsinnigen Raps in den Ohren des einstigen Grunge-Label-Geschäftsführers auf derart hohem Niveau zukunftsweisend, dass er prompt seine Kontakte zum ehemaligen Arbeitgeber spielen ließ und dem Duo als erstem Hip-Hop-Act überhaupt einen Vertrag beim Seattler Rock-Label besorgte.

Im Juni 2011 ist schließlich das mit seiner schwarzen Kunstsamt-Umhüllung und den goldglitzernden Initialen auf dem Cover mit einer etwas billig wirkenden Extravaganz daherkommende Debüt „Black Up“ erschienen und hat dem mit so viel Entzückung wiederaufgeweckten Musik-Visionär in jeder Hinsicht Recht gegeben.

Denn statt sich schlicht zeitgemäß Klingendem anzudienen, haben Shabazz Palaces sich ihrer Melange aus tieftönend urbaner Elektronik-Düsternis und afro-islamischer Widerstandsgeschichte mit angenehm verkopfter Ernsthaftigkeit angenommen. Da treffen wimmernd-schlingernde Choräle über schleppendem Beat auf minimalistische Marimba-Klänge, rückwärts verzogene Klavierakkorde auf blubbernd verdrehte Psychedelik, effektvernebelte Kehlkopf-Raps und schließlich auch, dann aber seltsam verstolperte, Jazzeinsprengsel.

Die Tür haben Shabazz Palaces damit bei Sub Pop längst auch für andere Hip-Hopper weit geöffnet. Der südafrikanische Rave-Rapper Spoek Mathambo und das Musik- und Liebespaar Stasia Irons und Catherine Harris-White alias THEEsatisfaction bahnen sich nun mit Seattle-Vertrag ihren Weg durchs Unterholz am Rand ausgetretener Hip-Hop-Pfade. Letztere zelebrieren morgen Abend gemeinsam mit Shabazz Palaces ihren in tiefer Verneigung vor Jazz-Diven wie Billie Holiday und Ella Fitzgerald und afrozentrischem Golden-Age-Hip-Hop gebastelten Befreiungsschlag.

■ So, 4. 11., 20 Uhr, Kampnagel, Jarrestraße 20

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen