Hochhäuser in Mexiko-Stadt stürzen ein

KATASTROPHE Mehr als 220 Menschen sind bei dem zweiten Erdbeben binnen 12 Tagen ums Leben gekommen. Dieses Mal ist vor allem die Hauptstadt Mexiko-Stadt betroffen – wie auf den Tag genau vor 32 Jahren

Mexiko-Stadt nach dem Beben: Viele Gebäude sind eingestürzt Foto: Rafael Arias/reuters

von Wolf-Dieter Vogel

Stromausfälle, kein Schulunterricht und viele Menschen, die auf den Beinen sind, um zu helfen. Auch am Tag zwei nach dem schweren Erdbeben in Mexiko herrscht in der Hauptstadt Mexiko-Stadt noch immer der Ausnahmezustand. Rettungskräfte suchen in eingestürzten Gebäuden nach Überlebenden, Bürgerinnen und Bürger bilden Ketten, um Steine wegzuschaffen. Andere bringen Wasser und Medikamente, schaffen „WiFi für alle“ und organisieren spontane Spendensammlungen. Auf Facebook fragen Menschen nach Angehörigen oder informieren darüber, wo geholfen werden muss. Zugleich meldete die Stadtverwaltung Fortschritte: U-Bahnen fahren und sind kostenlos.

„Schreiten wir voran, stellen wir uns gemeinsam dieser Herausforderung“, hatte der mexikanische Präsident Enrique Peña Nieto erklärt, nachdem am Dienstag zur Mittagszeit in der Hauptstadt sowie in mehreren Bundesstaaten die Erde gezittert hat. Das Epizentrum des Bebens, das eine Stärke von 7,1 auf der Richterskala erreichte, befand sich 120 Kilometer südöstlich von Mexiko-Stadt, einer Metropole mit 20 Millionen Einwohnern. Nach Angaben des Leiters des mexikanischen Zivilschutzes, Luis Felipe Puente, sind dort fast die Hälfte der bislang mehr als 220 Todesopfer zu verzeichnen.

Aus einer Schule im südlichen Stadtteil Coyoacán wurden 25 Leichen geborgen, darunter 19 Kinder. Die Suche nach weiteren Opfern hielt am Mittwoch an. „Wir schätzen, dass noch zwischen 30 und 40 Menschen in den Trümmern gefangen sind. Wir hören aber Stimmen, einige sind noch am Leben“, sagte der Sprecher der mexikanischen Marine, José Luis Vergara, im Fernsehen.

Foto: Henry Romero/reuters

Nach Angaben des Bürgermeisters Miguel Angel Mancera brachen in Mexiko-Stadt 44 Gebäude zusammen, viele davon im Zentrum. „Es war fürchterlich, es ist komplett zusammengefallen, eine Staubwolke stieg auf und es hat eine schrecklichen Schlag getan“, berichtet eine Nachbarin, die vor einem einstürzenden Haus im Stadtviertel Roma stand. „Wir waren wie paralysiert, aber nach drei Minuten begannen wir zu helfen.“ Zahlreiche Mexikaner, die ihre Häuser verlassen mussten, schlafen nun in Notunterkünften, die von der Stadtverwaltung zur Verfügung gestellt werden. Zugleich bieten auch Universitäten und Privathaushalte Obdach an. In Mexiko-Stadt und neun Bundesstaaten blieben die Schulen geschlossen – aus Furcht, dass noch mehr Gebäude einstürzen könnten.

Das Beben ereignete sich genau am 32. Jahrestag eines noch schwereren Erdbebens in Mexiko-Stadt. Am 19. September 1985 starben dabei mindestens 10.000 Menschen in den Trümmern. Das sei jedoch reiner Zufall, erklärte Wissenschaftler Manuel Perló Cohen. Zugleich bestätige sich heute, wo Menschen spontan Schulter an Schulter stünden und Solidarität übten, dass die Hauptstädter die Fähigkeit entwickelt hätten, in solchen Situationen adäquat zu reagieren.

1985 zeigte sich die Regierung vollkommen unfähig, die Lage in den Griff zu bekommen. Deshalb organisierten sich Bewohnerinnen und Bewohner eigenständig. Daraus entstand eine autonome Stadtteilbewegung, die wesentlich dazu beitrug, dass in den 1990er Jahren das Regime der 70 Jahre regierenden Einheitspartei PRI zerbrach. „Das war eine erfolgreiche Bewegung, die sehr viele andere animierte, sich zu bewegen“, erklärt der damalige Aktivist und Politiker Marco Rascón.

Foto: Henry Romero/reuters

Seit 2012 regiert die PRI mit Peña Nieto wieder das lateinamerikanische Land. Dem Politiker ist bewusst, wie sehr das jetzige Erdbeben auch politischen Schaden anrichten könnte. 2018 finden Präsidentschaftswahlen statt. Auch deshalb setzt er alles daran, Stärke zu demonstrieren und zu zeigen: Die Regierung hat die Lage im Griff. Der „Plan Mx“, der Armee, Marine und Polizisten einbezieht, soll schnelles Reagieren ermöglichen. Zudem sollen „die Freiwilligen und die Zivilgesellschaft eine herausragende Rolle spielen“, erklärte der Staatschef.

Als sich erst vor zwölf Tagen in den verarmten Bundesstaaten Oaxaca und Chiapas ein Erdbeben der Stärke 8,2 ereignete, bei dem rund 100 Menschen starben, reiste Peña Nieto sofort in die Region. Mit der nötigen Unterstützung sah es aber nach Ansicht von Betroffenen und Nichtregierungsorganisationen schlecht aus. So sei etwa in Armenvierteln der Stadt Juchitan, die besonders beschädigt wurde, und anderen Orten keine Hilfe der Regierung angekommen, kritisierte die Menschenrechtsorganisation Codigo DH. In ganz Mexiko organisierten deshalb Linke, Gewerkschafter und NGOs eigenständig Spendensammlungen, um den Betroffenen zu helfen.