Hauptsache, es geht mal los

STARTHILFE Das Projekt „Praktisch gut“ vermittelt Einwanderer-Kindern Praktika, Lehrstellen und Stipendien – damit ihre Ausbildung nicht an Schulnoten scheitert

Die Hamburger Stiftung für Migranten will Impulse zur beruflichen und sozialen Integration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund geben.

■ Gegründet wurde die Stiftung 2008 mit Spenden, die UnternehmerInnen mit Migrationshintergrund aufgebracht haben.

■ Für das Stipendiatenprogramm der Stiftung können sich Auszubildende im noch bis zum 27. November unter stiftung-fuer-migranten.de bewerben, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil im Ausland geboren wurden.

■ Mit der „Servicestelle für Paten- und Mentorenprojekte in Hamburg“ unterstützt die Stiftung ehrenamtliche Projekte, die Patenschaften von und für MigrantInnen in den Bereichen frühkindliche Bildung und Förderung, Schule sowie Ausbildung organisieren.

■ „Praktisch gut“ wird unterstützt von der Sponsoring-Initiative „Hamburger Weg“, mit der der HSV Geld für soziale und ökologische Zwecke akquiriert.

VON ROGER REPPLINGER

Till Kobusch hat einen Dienstwagen. Neuerdings. Dazu kam er zufällig: Ein paar Jugendliche haben in einem seiner Workshops den alten Audi 80 mit Graffiti besprüht. Das Ergebnis fand die Autofirma so gut, dass sie Klarlack über die Graffitis gesprüht und Motor und Getriebe der alten Kiste instand gesetzt haben.

Kobusch arbeitet für die Hamburger Stiftung für Migranten (siehe Kasten) im Projekt „Praktisch gut“. Dort können Jugendliche mit Migrationshintergrund aus den Stadtteilen Wilhelmsburg, Horn und Langenhorn Workshops machen. Sie dienen Kobusch dazu, die Jugendlichen kennenzulernen und gemeinsam herauszufinden, was sie sich für ihre Zukunft vorstellen.

Bewerber müssen auf einem Zettel angeben, was ihre Stärken sind und was sie über ihre Zukunft denken. Dann müssen sie auf der Homepage einen Fragebogen ausfüllen und drei Gründe angeben, warum sie mitmachen wollen. Und schließlich müssen sie ihre Sommerferien opfern, um Workshops oder Praktika zu machen.

Ana, Colin und Tom haben bei dem Sprayer-Workshop mitgemacht. Den alten Audi 80 haben sie mit Hilfe richtiger Sprayer gestaltet. „Die Jugendlichen“, sagt Kobusch, „sollten sich für die Graffiti überlegen: Wie lebst du in 20 Jahren? Wie sieht es dann aus? Gehen wir dann noch zu Fuß? Und welche Berufe gibt es da?“ Deshalb fliegen auf dem Audi alle, der Antrieb, mit dem die Leute fliegen, ist an den Armen und Beinen, Autos gibt es nicht mehr, dafür bleibt der HSV, alles ist Stadt, die besteht aus Hochhäusern. Die Welt in 20 Jahren sieht ein bisschen aus wie Teile von Langenhorn heute.

Ana, der Name wird „Äna“ ausgesprochen, ist 14 und hat einen Ausbildungsplatz. Sie wird Musikerin: Gesang und Gitarre. Das macht entspannt. Colin ist 15, und trägt, seit er diese Jungs kennengelernt hat, die richtig gut Graffiti sprayen, die Kappe mit dem Schild nach hinten. Colin will was „mit Sport machen“. Was genau, muss er noch gucken. Er hat ein Praktikum beim Eishockey-Team Hamburg Freezers gemacht, vier Tage. „Das war okay“, sagt er. Tom ist 15, und stellt sich „so was in Richtung Polizei oder Lotse vor“. Der Vater eines Freundes ist Lotse, er hat mal in einer Heizungsbaufirma ein Praktikum gemacht. Ana, Colin und Tom gehen in die Fritz-Schumacher-Schule in Langenhorn, machen in diesem Schuljahr ihren Hauptschulabschluss.

„Noten sind wichtig“, weiß Tom, „vor allem in diesem Schuljahr.“ Weil sich da entscheidet, ob es bei einem Hauptschulabschluss bleibt, oder ob es für die Realschule reicht. Colin sagt über seine Noten: „Na ja, geht so“, und Ana schaut ihn von der Seite an. „Na ja“, sagt er, „Mathe ist schwierig.“ Da ist er nicht der Einzige. „Da hab’ ich ’ne Lernschwäche“, sagt er. Ana auch. Sport, Biologie, Gesellschaft, Chemie: Alles gut bei Colin.

Dass von den dreien keiner Angst vor der Zukunft hat, dass sie alle mindestens ein Praktikum gemacht haben, wissen, was sie wollen, nicht auf den Mund gefallen sind, „Praktisch gut“ tun. Kobusch weiß, dass er „die Motivierten hat, die sich interessieren, die was machen wollen, ambitionierte Jugendliche aus einem ambitionierten Umfeld“. Die schwierigen Jugendlichen, die keine Chancen sehen, „nehmen an solchen Programmen nicht teil“, sagt er, „an die ran zu kommen, ist schwer“.

In zwei Projektjahren haben 177 Jugendliche an den Programmen von „Praktisch gut“ teilgenommen. Es gibt Stipendiatenprogramme für Auszubildende mit Migrationshintergrund, für sie können Fortbildungen bezahlt werden. Voraussetzung: „Schlechte Noten in der Berufsschule und gute Beurteilungen von den Ausbildern“, sagt Kobusch. Er versucht so zu verhindern, dass Jugendliche, die Praxis drauf haben, an den Noten der Berufsschule scheitern.

Zu 40 bis 50 Jugendlichen des Jahrgangs 2012 hat Kobusch Kontakt. Da ist ein junger Mann aus Ecuador, 17, der einen Realschulabschluss in Ecuador gemacht hat, und jetzt einen hier. „Total pfiffig“, sagt Kobusch, „nur sein Deutsch ist noch nicht so gut, und das macht die Sache schwierig.“ Wichtig sind Kobuschs Kontakte zu Arztpraxen, Bäckereien, Fotostudios, Luftfahrt-Unternehmen, Autohäusern oder dem HSV – weil er so Unternehmen findet, die bereit sind, seinen Jugendlichen einen Praktikumsplatz zu geben.

Und dann muss Kobusch unbedingt von Kubilay erzählen. Kubilay, 16, „mit den superschlechten Noten“, sagt Kobusch, „suuuperschlecht, unterirdisches Zeugnis“. Aber, das war Kobusch sofort klar, „der Junge hat was drauf“. Für die Ferien hat er ihm, der mit dem Vater zusammen am Wagen der Familie herumgebastelt hatte, ein Praktikum in einer Automobilwerkstatt vermittelt. Der Meister schaute sich das nicht lange an: „Den nehm’ ich“, sagte er zu Kobusch, „das Zeugnis guck ich nicht an.“ War Kubilays Traumberuf: Auto-Mechatroniker. Ist natürlich eine Geschichte über das deutsche Schulsystem, das hier wieder mal beweist, dass es nicht funktioniert. Nun versucht „Praktisch gut“ Kubilay bei der Bewältigung der Berufsschule zu helfen. Die vier Ringe der Firma, für die er jetzt arbeitet, würde er sich am liebsten auf den Arm tätowieren lassen, „so dankbar ist er, dass die ihm eine Chance gegeben haben“, sagt Kobusch. Kubilay ist einer von denen, die kurz davor waren aufzugeben.

Kein Wunder, dass viele der Graffiti, die Ana, Colin, Tom und die anderen auf den Wagen gesprayt haben, was mit „Start“ zu tun haben. Einige der Figuren starten schnell, andere hoch. Hauptsache, es geht mal los.