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Viele Strafgefangene sind nach ihrer Entlassung hoch verschuldet Foto: Maurizio Gambarini/dpa

Auf dem Weg zurück in die Gesellschaft

RESOZIALISIERUNG Schulden erschweren Strafgefangenen den Weg zurück in ein normales Leben. Kosten, die durch die Straftaten entstanden sind, müssen auch nach einer Privatinsolvenz abgezahlt werden

von Jördis Früchtenicht

Schulden sind in unserer Gesellschaft allgegenwärtig. Laut dem „Schuldneratlas 2016“ der Wirtschaftsauskunftei Creditreform sind 6,8 Millionen Deutsche über 18 Jahren überschuldet oder weisen nachhaltige Zahlungsstörungen auf. Überschuldung ist also ein Massenphänomen. Wie andere soziale Probleme auch ist Verschuldung in konzentrierter Form in Gefängnissen anzutreffen. Nur ist es für Straffällige wesentlich schwieriger, einen Ausweg aus der Überschuldung zu finden als für Menschen, die in Freiheit leben.

Viele Strafgefangene sind nach ihrer Entlassung hoch verschuldet. Zum einen, da sie aus dem Leben vor ihrer Haft Verpflichtungen hatten, denen sie im Gefängnis nicht nachkommen konnten. „Das sind Verpflichtungen, wie sie andere auch haben: Handyverträge zum Beispiel. Wer in Untersuchungshaft kommt, hat meist andere Dinge im Kopf, als den Strom abzustellen“, sagt Björn Süß, Geschäftsführer der Stiftung Straffälligenhilfe Schleswig-Holstein. „Die Inhaftierung bedeutet automatisch einen weiteren sozialen Abstieg.“

Hinzu kommen zudem die Verfahrenskosten, die bei einer rechtskräftigen Verurteilung an den Staat zurückgezahlt werden müssen. Neben Anwalts- und Gerichtskosten können dies etwa auch Kosten für Gutachten oder Ähnliches sein. „Die Schulden können zu Antriebs- und Per­spektivlosigkeit führen“, berichtet Süß. „Dadurch werden Wege verbaut, nach der Haft ein normales Leben zu führen.“

Bundesweit wird fast jeder zweite ehemalige Häftling wieder straffällig, wie eine Studie des Bundesjustizministeriums zeigt. Dabei soll der Strafvollzug die Häftlinge befähigen, in Zukunft in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Für eine erfolgreiche Resozialisierung ist neben Unterkunft, Arbeit und dem sozialen Umfeld auch Hilfe bei Sucht- und Schuldenbewältigung wichtig. „Der Resozialisierungsaspekt der Haft wird häufig vergessen. In der Gesellschaft herrscht meist Schubladendenken. Schuldnerberatung für Inhaftierte wird schnell als unnötige Geldausgabe angesehen, erzählt Sabine Reimer. Die Schuldnerberaterin des Vereins Bremische Straffälligenbetreuung berät Strafgefangene regelmäßig in der Justizvollzugsanstalt (JVA).

Den Überblick verloren

Ihr Kollege Stefan Bruns ergänzt: „Unsere KlientInnen haben oft aus verschiedenen Gründen keinen Überblick mehr über ihre Schulden, etwa wegen Drogenmissbrauchs oder auch chaotischen Familienverhältnissen.“ In der Beratung werde häufig zunächst Aufklärungsarbeit geleistet. „Viele haben ein falsches Bild davon, wie die Schuldentilgung abläuft. Diese Gedanken entsprechen meist nicht der Realität“, so Bruns. Einige KlientInnen kämen am ganzen Körper zitternd in die Beratung und wüssten nicht, was passieren wird. Über Pfändungsfreigrenzen etwa, durch die das Existenzminimum gesichert werden soll, sind sie nicht informiert. „In Extremfällen kommt es auch vor, dass neue Straftaten zur Schuldentilgung begangen werden.“

Existenzminimum gesichert

Zum Nettoeinkommen im Sinne der Pfändungstabelle zählen neben Gehalt und Rente auch das Arbeitslosengeld I und II. Die Höhe des pfändbaren Einkommens richtet sich nach der Anzahl der unterhaltspflichtigen Personen. Wer beispielsweise 1.140 Euro im Monat hat und weder für Kinder noch für Ex-PartnerInnen zahlen muss, dem können laut der aktuellen Pfändungstabelle nur 4,34 Euro im Monat gepfändet werden. Danach steigt der Betrag schrittweise an. Bei einem Nettoeinkommen von 1.280 Euro sind es 102 Euro, wer 1.660 Euro hat, muss 326 Euro abgeben, dazu gegebenenfalls knapp 20 Euro für eine unterhaltspflichtige Personen. Die Tabelle endet übrigens bei einem Nettoeinkommen von 3.476 Euro: Dann sind alle Beträge voll pfändbar!

Wie für andere Menschen auch gibt es für StraftäterInnen zudem die Möglichkeit eines Verbraucherinsolvenzverfahrens, häufig auch als Privatinsolvenz bezeichnet. Allerdings bleiben nach der dazugehörigen Restschuldbefreiung am Ende des sechsjährigen Insolvenzverfahrens trotzdem noch jene Verbindlichkeiten übrig, die aus vorsätzlich begangenen, unerlaubten Handlungen entstanden sind. Diese nämlich werden von der Befreiung nicht erfasst.

Das Insolvenzverfahren kann bereits während der Haft eingeleitet werden. Allerdings ist dies nur möglich, wenn die Strafgefangenen Zugang zu Schuldnerberaterumg haben. Dies ist nicht überall der Fall. Justizvollzug ist Sache der Bundesländer. „Eine Verbraucherinsolvenz ist auch in der Justizvollzugsanstalt nicht leicht. Die Haft bedeutet nicht freie Kost und Logis. Beispielsweise müssen für einen Fernseher Leihgebühren und Strom gezahlt werden“, so Reimer.

Zudem könne das sogenannte Eigengeld der Inhaftierten, unter anderem ein Teil ihres ohnedies kärglichen Arbeitsentgelts, gepfändet werden, wenn das Überbrückungsgeld angespart wurde. Dieses dient der Begleichung von Kosten in der ersten Zeit nach einer Haftentlassung, also etwa Mietzahlungen. „In der Bevölkerung wird oft gedacht, die Insolvenz in Haft ist einfach, weil es kein pfändbares Einkommen gibt, aber das ist nicht richtig“, sagt Reimer.

Alternative: Schuldenfonds

Als Entschuldungshilfe haben sich Schuldenregulierungsfonds, auch Resozialisierungsfonds, bewährt. Allerdings gibt es diese Fonds nicht in allen Bundesländern. Doch sowohl beim Bremer Verein als auch der schleswig-holsteinischen Stiftung gibt es sie. Dadurch können Straffälligen Darlehen zur Schuldentilgung gewährt werden, die sie so nicht bei einer Bank bekommen würden. „Unsere Stiftung hat seit 1995 über 870.000 Euro an Darlehenssummen gewährt, damit konnten 3,7 Millionen Euro an Forderungen abgegolten werden“, berichtet Süß. „Die Stiftung kann dabei keine riesigen Darlehen gewähren – im Schnitt sind es 2.500 bis 3.000 Euro.“

Die Darlehen können auch den Opfern der Straftaten helfen. „Ein Klient hatte eine Vergewaltigung begangen, dem Opfer war ein Schmerzensgeld von 10.000 Euro zugesprochen worden. Diese Summe konnte der Täter nicht zahlen, er lebte von unpfändbarem Einkommen. Dank des Fonds konnte sich der Verein für ein Darlehen verbürgen“, erzählt Bruns. Nach Verhandlungen mit der Anwältin des Opfers habe dieses ein Drittel der eigentlichen Forderung erhalten. Ohne das Darlehen wäre bei dem Täter, der nichts hatte, auch nichts zu vollstrecken gewesen. „So konnte auch das Opfer mit der Thematik abschließen.“

Schuldner- und Insolvenzberatung Bremen, Faulenstraße 48–52. Termine gibt es nach telefonischer Vereinbarung unter 0421/79 29 3-0. Mittwochs gibt es zwischen 9 bis 12 Uhr zudem eine freie Beratung. Website: www.straffaelligenhilfe-bremen.de

Landesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung Hamburg: www.soziale-schuldnerberatung-hamburg.de

Stiftung Straffälligenhilfe Schleswig-Holstein, Ringstraße 76, Kiel. Telefon: 0431/200 56 68, Website: www.straffaelligenhilfe-sh.de