Fragen zur Fahndung

Sicherheit Ein interner Bericht zeigt, dass die Polizei nach dem Anschlag am Breitscheidplatz zu spät reagiert hat

Der Breitscheidplatz einen Tag nach dem Anschlag Foto: Christian Mang

von Antje Lang-Lendorff

Was war wirklich los in der Nacht vom 19. Dezember? Nachdem bekannt wurde, dass die Polizei erst über drei Stunden nach dem Anschlag am Breitscheidplatz eine Fahndung eingeleitet hatte, mehren sich die Forderungen nach Aufklärung. „Es muss geklärt werden, wer das zu verantworten hat, dass man Anis Amri hier sehenden Auges hat laufen lassen und damit die Gefährdung der Berliner und Berlinerinnen riskiert hat“, sagte die rechtspolitische Sprecherin der Grünen, Canan Bayram. Der Innenexperte der Linke, Hakan Taş, forderte, Polizeipräsident Klaus Kandt müsse sich im Amri-Untersuchungsausschuss erklären.

Verschiedene Medien hatten am Freitag aus einem internen Polizeibericht zitiert, der den Einsatz nach dem Anschlag vom 19. Dezember analysiert. Demnach hat die Polizei die bei Terroranschlägen vorgesehene Fahndung erst nach drei Stunden eingeleitet. Bis dahin hätten die Beamten weder die Umgebung am Breitscheidplatz abgesucht, noch seien Straßen und Bahnstrecken als Fluchtwege kontrolliert worden.

Grund war laut Bericht unter anderem, dass bereits eine halbe Stunde nach dem Anschlag ein Tatverdächtiger festgenommen wurde. Weitere Maßnahmen hielt die Polizeiführung offenbar nicht für nötig. Später stellte sich heraus, dass der Festgenommene mit dem Anschlag nichts zu tun hatte, und der wahre Täter, Anis Amri, bewaffnet und flüchtig war.

Von der Polizei in Brandenburg, Thüringen und Bayern sowie von der Bundespolizei wurden umfassende Fahndungsmaßnahmen laut Polizeibericht deutlich früher eingeleitet als in Berlin. Die Kommunikation der Berliner Polizei sei von Sicherheitsbehörden mehrerer Länder „als unzureichend kritisiert“ worden. Der Einsatz nach dem Anschlag sei durch eine „ungeübte Führungsgruppe“ geleitet worden. Die Einsatzkräfte hätten „keine Aufträge“ erhalten „und handelten in weiten Teilen intuitiv“, heißt es.

Der innenpolitische Sprecher der FPD, Marcel Luthe, sprach daraufhin von einem „heillosen Durcheinander“. Er brachte auch einen Rücktritt des Polizeipräsidenten Klaus Kandt ins Gespräch. „Wenn die Aussagen zutreffen, ist die Führung der Berliner Polizei meines Erachtens nicht zu halten“, sagte Luthe dem RBB.

Der Opferbeauftragte des Landes, Roland Weber, hat die Höhe der geleisteten Entschädigungszahlungen an die Opfer des Attentats vom Breitscheidplatz gewürdigt. Die Entschädigungen seien in einem guten Umfang erfolgt, sagte Weber am Samstag im Inforadio. Weber zufolge wurden bislang rund 1,5 Millionen Euro an 119 Betroffene und Hinterbliebene ausgezahlt.

Jeder Fall sei dabei einzeln zu betrachten, sagte der Rechtsanwalt. Manche der Betroffenen hätten ausschließlich mit psychischen Folgen zu kämpfen und könnten bereits wieder arbeiten, andere müssten immer noch stationär oder ambulant behandelt werden. Dementsprechend unterschiedlich seien die Zahlungen ausgefallen. Wer schwer verletzt wurde, habe hohe fünfstellige Beträge erhalten und könne auch in Zukunft mit weiteren Zahlungen rechnen, bei den leichter Verletzten seien die Summen entsprechend niedriger. (epd)

Andere nahmen die Beamten am Wochenende in Schutz. Frank Zimmermann, innenpolitischer Sprecher der SPD, bezeichnete Reaktionen wie die von Luthe am Sonntag als „Hysterie“. Es sei richtig, dass die Polizei eine eigene „Fehlerkultur“ habe, dass sie Probleme analysiere und versuche sie abzustellen, sagte Zimmermann zur taz. Er wolle den Bericht zunächst selbst lesen. „Sehen wir mal, ob die Polizei tatsächlich total versagt hat, oder ob sie schlicht auf einer falschen Fährte war.“

Auch Martin Pallgen, Sprecher der Innenverwaltung, verteidigte am Sonntag die Beamten. Retrospektiv wüssten alle, was zu tun gewesen sei. Die Polizei könne sich aber nur bedingt auf so einen Anschlag vorbereiten. „Vieles ist auch gut gelaufen an dem Abend“, sagte Pallgen zur taz.

Innensenator Andreas Geisel (SPD) kannte den Polizeibericht seinem Sprecher zufolge bis Freitag nicht. Im Januar sei die interne Untersuchung auf den Weg gebracht worden, „danach ruhte still der See“, so Pallgen. Erst als Inhalte des Berichts am Freitag publik wurden, habe sich der Innensenator das Dokument von der Polizei schicken lassen. (mit dpa)