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Wahrheit als Haltung

THEATER Zum ersten Mal inszeniert der südafrikanische Regisseur Mpumelelo Paul Grootboom an einer deutschen Bühne. In „Die Nacht von St. Valentin“ setzt er sich mit der Angst vor dem Anderen auseinander

Spürt seit 15 Jahren im Theater dem Nachhall der Apartheid in Südafrika nach: Mpumelelo Paul Grootboom Foto: Rolf C. Hemke

von Katrin Ullmann

Vier Schüsse durch die geschlossene Toilettentür waren es. Hinter der der Paralympics-Star Oscar Pistorius, so wird er später aussagen, einen Einbrecher wähnte. Aus Angst um das eigene und das Leben seiner Freundin habe er – selbst nur auf Beinstümpfen stehend – wiederholt abgefeuert. Tatsächlich tötete Pistorius in der Nacht zum Valentinstag 2013 im südafrikanischen Pretoria seine Lebensgefährtin Reeva Steenkamp.

Ob es sich bei der Tat um Notwehr, fahrlässige Tötung oder vorsätzlichen Mord handelte, darüber tagten die südafrikanischen Richter monatelang. Im Juli 2016 erhielt der Sportler, dem die Unterschenkel amputiert wurden, schließlich mildernde Umstände und wurde von der zuständigen Richterin Thokozile Masipa zu nur sechs Jahren Gefängnisstrafe verurteilt.

In seinem jüngsten Stück „Die Nacht von St. Valentin“, mit dessen Uraufführung am Sonntag die Saison im Malersaal des Schauspielhauses eröffnet wird, erzählt der südafrikanische Autor und Regisseur Mpumelelo Paul Grootboom eine ähnlich gelagerte Geschichte: Popsternchen Elize Thorn wird erschossen, dringend tatverdächtig ist ihr Verlobter Danie, einer der populären Rugby-Stars des Landes. Was wirklich geschehen ist, versucht Mordkommissarin ­Lieutenant Stopford herauszufinden.

„Wir wollten ein Stück entwickeln, dass indirekt mit der Flüchtlingssituation hier in Deutschland zu tun hat“, erläutert Grootbooms Dramaturg und Übersetzer Rolf Christoph Hemke: „ein Stück, das vom ,Anderssein‘ erzählt.“ Der Pistorius-Fall sei dabei die assoziative Grundlage gewesen, eine wichtige Rolle habe aber auch das Thema der Gated Communities gespielt, ergänzt Grootboom: „Pistorius selbst lebte in einer Art Festung und seine Verteidigung baute auf dem Argument auf, sich vor der grassierenden Kriminalität schützen zu müssen. Er beschwor die Angst vor dem Anderen, der ,schwarzen Gefahr‘, das war genau das Bild, dass er erzeugen wollte.“

Ein ähnliches Angstbild finde sich auch hier in Deutschland wieder. Schließlich gehe es „in bestimmten, rechten Kreisen“ um die Frage, wie man die Gesellschaft „schützen“ könne – „oder sogar, wie man den Kontakt mit Fremden vermeiden kann“, sagt Grootboom.

Das Setting des Stücks ist jedoch weder ein Gerichtssaal noch ein meterhoch umzäunter und kameraüberwachter Wohnkomplex. Stattdessen spielt Grootboom vier verschiedene Perspektiven auf den Vorfall durch, erzählt vier verschiedene Versionen des Verbrechens. Diese Szenarien, diese divergierenden Zeugenaussagen sind als Reenactments entwickelt, die im Moment der Entscheidungsfindung der Staatsanwältin, ob und welche Anklage sie erheben wird, vor ihrem inneren Auge ablaufen.

Wegen dieser multiperspektivischen Erzählstruktur ist Grootboom schon der „Tarantino of the Townships“ genannt worden. Eine Bezeichnung, die er selbst nicht besonders möge, sagt er, weil sie auch impliziere, Quentin Tarantinos unbekümmerten Umgang mit Gewalt zu imitieren.

Eine achtsame Distanzierung, denn mit seinem Theater-Monolog „Out in Africa – tief in Afrika“ begeisterte und irritierte Grootboom im Juni dieses Jahres bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen gleichermaßen. Darin erzählt der einzige Überlebende, wie er – nachdem er gemeinsam mit anderen deutschen Touristen in einem ostafrikanischen Land von Islamisten wochenlang ohne Nahrung eingesperrt gewesen sei – die anderen schließlich zerfleischt und verspeist habe.

1975 in Meadowlands, Soweto, geboren, war Grootboom, der 14 Jahre lang am Staatstheater von Pretoria tätig war, gerade mal ein Jahr alt, als dort die blutigen Aufstände losbrachen, die das Ende der Apartheid-Ära einläuten sollten. Heute konstatiert er, dass Südafrika immer noch am Rassismus leide. „Tatsächlich wurde vieles unter den Teppich gekehrt, das kommt jetzt nach und nach alles hoch“, sagt er. „Auch die, die an die Regenbogen-Nation geglaubt haben, zweifeln jetzt.“

In „Die Nacht von St. Valentin“, seiner ersten Inszenierung für eine deutsche Bühne, macht er sich nun also auf die Suche nach der Wahrheit. Oder besser: nach einem Umgang mit der Tatsache, dass sich eine absolute Wahrheit gar nicht rekonstruieren lässt. Denn, sagt Grootboom, „Wahrheit ist eher eine Frage der Perspektive. Oder das Ergebnis einer bestimmten Haltung.“

Premiere: So, 17. 9., 20 Uhr, Schauspielhaus/Malersaal

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