„Lehrreiche Exponate wie ‚Lungen­­krebs‘ oder ‚Hirninfarkt‘ fehlen jetzt“

Das bleibt von der Woche Das Menschen Museum kann bleiben, der Breitscheidplatz bekommt einen goldenen Riss als Mahnmal, die Verwaltung soll schneller werden, und das Literaturfestival verfügt endlich über mehr Geld

Mahnmal im Namen der Opfer

Breitscheidplatz

Der Riss macht das Leid der Opfer sichtbar, aber drängt sich nicht auf

Ein Riss im Boden entsteht, wenn die Erde bebt, wenn ein sonst fester Grund plötzlich erschüttert wird. Der Anschlag vom Breitscheidplatz war so ein Beben. Er hat das Leben der Betroffenen und ihrer Angehörigen verändert, zwölf Menschen starben. Er erschütterte Berlin auch als Ganzes. Am 19. Dezember hat der islamistische Terror die Stadt erreicht.

Insofern ist es stimmig, dass sich die Jury bei der Auswahl eines Gedenkzeichens am Dienstag für den Entwurf des Büros merz merz entschieden hat. Ein goldener Riss soll sich über den Platz die Stufen zur Gedächtniskirche hinaufziehen, auf den Vorderseiten der Stufen die Namen der Todesopfer. Es ist ein dem Anlass angemessenes Mahnmal, macht es doch das Leid der Opfer dauerhaft am Ort des Anschlags sichtbar. Es lädt Menschen auch dazu ein, ihrer Trauer weiter mit Kerzen und Blumen auf den Stufen Ausdruck zu verleihen. Gleichzeitig drängt sich das Mahnmal nicht auf, man kann auch einfach über den Riss hinweglaufen. Die Gefahr, dem Attentäter und seiner Tötungsabsicht zu viel Gewicht zu geben, besteht bei diesem Entwurf nicht.

Dass die Namen der Opfer öffentlich genannt werden, ist nicht selbstverständlich. In den Wochen nach dem Anschlag schirmten die Behörden die betroffenen Familien ab, nur langsam sickerten Informationen durch. Das sei damals sehr gut gelaufen, sagt der Opferbeauftragte des Landes, Roland Weber. Inzwischen habe sich aber auch bei den Hinterbliebenen einiges verändert. Alle Familien seien mit der Namensnennung einverstanden gewesen. Mehr noch: Nach dem, was Jurymitglieder berichten, war das Votum der Hinterbliebenen mit ausschlaggebend für die Entscheidung. Das Bedürfnis, auch ein individuelles Zeichen des Gedenkens zu setzen, ist offenbar da.

In den Wochen nach dem Anschlag lief bei der Betreuung der Angehörigen einiges schief. Die Zuständigkeiten innerhalb der Verwaltung waren unklar, die Informationen flossen nur langsam, viele fühlten sich alleingelassen. Umso erfreulicher ist es, dass die Hinterbliebenen bei der Frage des Gedenkens Mitsprache hatten, dass es eine einvernehmliche Entscheidung gab – die für Berlin nun auch erstaunlich schnell zustande kam.

Antje Lang-Lendorff

Jetzt kommen die Experten

Land vs. Bezirke

13 Fachleute sollen Ideen entwickeln, wie Bürgerämter besser funktionieren

Dass viele politische Projekte in Berlin nur schwer umzusetzen sind, liegt oft daran, dass dafür zwei Partner zusammenarbeiten müssen, es aber eigentlich nicht so richtig wollen. Ein Beispiel: Der Senat, also das Land Berlin, beschließt mehr Radstreifen; anlegen müssen die aber die Bezirke, sprich die Kommune. Deswegen bekommt der Bezirk für die Umsetzung der tollen Idee ein paar zusätzliche Stellen vom Land.

Aber der Bezirk findet vielleicht, dass die neuen Mitarbeiter gerade für etwas anderes viel dringender benötigt werden. Und am Ende dauert es gefühlt ewig, ein paar Linien auf die Straße zu pinseln, und alle – immer voran der Tages­spiegel – schimpfen auf den Senat, der es ja nicht mal schaffe etc. pp.

Das Problem, das sich als Beziehung zwischen großem Bruder und kleiner Schwester beschreiben lässt, ist nicht neu, aber drängend. So ist auch Rot-Rot-Grün bewusst, dass der Erfolg des linken Bündnisses zu guten Teilen davon abhängt, dass seine politischen Ideen nicht von den Bezirken, gewollt oder ungewollt, ausgebremst werden. Deswegen hat der Senat am Dienstag ein 13-köpfiges Expertenteam beauftragt, Vorschläge zur Verbesserung der Verwaltung zu machen.

Und zwar zackig: Schon Ende des Jahres sollen die Fachleute erste Ideen liefern, wie zum Beispiel umständliche Abläufe gestrafft und die Arbeit in Bürgerämtern schneller werden kann. Es geht also erst mal um Details.

Eigentlich hatte Rot-Rot-Grün noch viel mehr vorgehabt. Vor der Sommerpause war eine vom Abgeordnetenhaus eingesetzte Enquetekommission – also eine Arbeitsgruppe mit fraktionsfremden Experten, die langfristige Fragestellungen lösen soll – zum Thema Land/Bezirke so gut wie verabredet gewesen. Doch vor allem der Regierende Bürgermeister Michael Müller hatte gebremst und auf schnelle, dafür aber weniger umfassende Vorschläge gedrängt. Denn bis eine Enquetekommission etwas Konkretes liefert, kann es ein paar Jahre dauern. Zu lange vielleicht für Rot-Rot-Grün.

Was die Frage aufwirft, ob es dann überhaupt jemals zu einer funktionierenden Reform der Beziehung zwischen Land und Bezirken kommt. Wer, wenn nicht eine Koalition mit klarem Anspruch, könnte zwischen dem Wunsch des Landes zu gestalten und den Ängsten der Bezirke, entmachtet zu werden, vermitteln? Eine „Große“ Koalition aus SPD und CDU sicher nicht. Bert Schulz

Nicht alle Leichen bleiben

Menschen Museum

Die Betreiber haben reagiert: Alle aus­gestellten Plastinate sind identifizierbar

Drei Jahre währt nun der Streit über die Genehmigung für das Menschen Museum am Fernsehturm. Der Lebenstraum von Gunther von Hagens, dem Anatom und Erfinder der Plastination mit dem Wunsch nach einer Dauerausstellung konservierter toter Körper, steht infrage. Immer wieder droht er am Widerstand des Bezirksamts Mitte zu zerplatzen. Doch in dieser Woche gibt es eine neue Wendung: Das Berliner Verwaltungsgericht hat nichts dagegen, falls die Museumsbetreiber nachweisen können, welchem Körperspender die plastinierten Körper gehört hatten.

Bislang sah die gängige Praxis so aus, dass die Leichen mit einem Anhänger gekennzeichnet und mit Formalin an der weiteren Verwesung gehindert wurden. Nach Abschluss des Plastinationsprozesses, der zuweilen erst nach mehreren Jahren erfolgte, wurde der Anhänger entfernt – selbst die Plastinierer konnten nicht mehr sagen, wessen Körper sie verarbeitet hatten.

Diese Vorgehensweise irritiert nicht nur das Bezirksamt Mitte, dessen Anwalt sich im Berliner Verwaltungsgericht gegenüber den Ausstellungsmachern empörte: „Sie verwischen alle Nachvollziehbarkeit!“

In der Tat fragt man sich, warum Gunther von Hagens und seine Mitstreiter – die immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert wurden, sie würden ihr Ausgangsmaterial auf un­seriöse Weise beziehen – ihr größtes Pfund einfach weggeschmissen haben: nämlich den nachvollziehbaren Beweis, dass es sich um die Leiche eines Körperspenders handelt, der zu Lebzeiten eine notarielle Einwilligung abgegeben hat.

Die Museumsbetreiber haben nun reagiert: Alle ausgestellten Teilkörperplastinate sowie drei Ganzkörperplastinate sind identifizierbar, auch wenn so lehrreiche Exponate wie „Lungenkrebs“ oder „Hirninfarkt“ jetzt fehlen. Exponate wie der „Denker“ müssen völlig neu gefertigt werden. Dazu brauchen die Ausstellungsmacher geeignete Leichen – und natürlich auch ein bisschen Glück, denn in absehbarer Zeit wird das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg die Entscheidung des Verwaltungsgerichts überprüfen. Uta Eisenhardt

Mehr Geld für Autoren aus aller Welt

Literaturfestival

Jeder kann mit dem Internationalen Literaturfestival auf Reisen gehen

Die Lesung einer Tochter chinesischer Einwanderer nach Kanada aus ihrem Roman über drei Generationen chinesischer Musiker; die Lesung einer ghanaisch-amerikanischen Autorin über die Frage, was es mit Menschen macht, wenn ihre Vorfahren fast 300 Jahre lang mit Füßen getreten wurden; oder auch die Lesung des weißrussischen Künstlers Artur Klinauaus seinem zweiten Roman über die Wirren einer Dreiecksbeziehung vor dem Hintergrund der Ereignisse nach den Präsidentschaftswahlen im März 2010: Wer in den letzten beiden Wochen auch nur eine der 285 Veranstaltungen von 297 Autoren aus 58 Ländern auf dem heute zu Ende gehenden Internationalen Literaturfestival Berlin besucht hat, durfte sich oft wundern.

Viele auch noch der abseitigsten Lesungen waren gut besucht bis ausverkauft. Es erinnert ein wenig an die Berlinale: Was außerhalb dieses Festivals oft nicht funktioniert, klappt hier hervorragend, auch noch in der 17. Ausgabe. Es kommen sogar Menschen, die sonst eher Mainstream lesen, um wenigstens während dieser zwei Wochen einmal wieder richtig im Kopf auf Reisen zu gehen.

Festivalerfinder Ulrich Schreiber, stets umgeben von einer leicht weltfremden Aura, hat viel geschafft in den letzten 16 Jahren, was viele ihm am Anfang gar nicht zugetraut hatten. Darum leuchtete es auch spontan ein, dass er im Vorfeld des Festivals plötzlich unerwartet verkündete, es müsse dringend mehr Geld her. Seit über 15 Jahren beziehe er mit 350.000 Euro Förderung aus dem Hauptstadtkulturfonds dieselbe finanzielle Unterstützung, die Gesamtkosten des Festivals betragen allerdings heute etwa das Doppelte. Man kann sich ausmalen, was es heißt, allein die vielen Flüge für die Autoren zu bezahlen, die für das Festival jedes Jahr aus aller Welt nach Berlin kommen.

Wie schön, als dann Anfang der Woche, zur Halbzeit des Festivals, die Nachricht kam: Vier aus dem Hauptstadtkulturfonds geförderte Festivals werden ab dem nächsten Jahr mehr Geld bekommen. Das Internationale Literaturfestival Berlin wird die größte Steigerung von 350.000 auf 600.000 Euro jährlich erhalten. Das Festival gehört zu einem der wichtigsten und schönsten dieser Stadt. Und so kann es jetzt auch bleiben.

Susanne Messmer