taz-Serie Angezapft (1): In Puschel's Pub: Grün wählen mit Bauchschmerzen
Am Tresen, am Stammtisch und in der letzten Kneipenecke wird über die Wahl am 24. September diskutiert. Die taz hört zu. Heute in Tiergarten.
Puschel’s Pub ist die letzte richtige Kneipe in der Potsdamer Straße. Der erste Eindruck: Man betritt eine Höhle. Schmal und verraucht ist der Raum. An der Decke hängen unzählige Fanschals von Fußballvereinen. Deutsche Klubs mischen sich mit europäischen Klassikern und weltweiten Exoten.
Auf zwei Bildschirmen und einer Leinwand laufen sich an diesem Mittwochabend die Spieler von Borussia Dortmund und Tottenham warm. Die Champions-League-Saison hat begonnen. Am Fenstertisch werden Skatkarten ausgeteilt. Die vier Spieler – der Älteste 73, der Jüngste 58 Jahre alt – sind Stammgäste. Einer outet sich als Gründungsmitglied der Alternativen Liste (AL), dem Vorläufer der Grünen. Die anderen als Fotograf, Journalist und Bildhauer.
Von der taz-Reporterin auf die Bundestagswahl angesprochen, lassen sie die Karten ruhen. Einer wie er könne kaum anders als grün wählen, sagt der Alt-ALer. Überzeugung klingt anders. Der Bildhauer dagegen ist sich seiner Sache sicher: „Ich wähle Sahra“, verkündet der schlanke Mann, der in der Runde der Älteste ist. „Aber nur weil deine Tochter auch Sahra heißt“, spotten die anderen. „Nein, weil sie am wenigsten opportunistisch ist“, kontert der Alte. „Die anderen haben doch alle nur Angst, ihren Parlamentssitz zu verlieren.“
Der Satz entfaltet Sprengkraft. „Ja! Die Künast, warum muss die denn noch mal rein“? ruft einer in der Runde. Es klingt, als knalle er einen Trumpf auf den Tisch. Beifälliges Nicken. „Man muss grün wählen, auch wenn die Grünen ein schauerliches Bild abgeben“, wendet eine Wissenschaftlerin ein, die am Nachbartisch mit ihrem Mann Bier trinkt. Beide sind Jahrgang 64. „Die Themen für die Grünen liegen auf der Straße“, ist die Frau überzeugt. „Aber die Grünen eiern rum, weil die Parteispitze glaubt, jede Koalition ist besser als keine.“
Für Taxifahrer, Handwerker, Akademiker und Künstler allen Geschlechts ist Puschel eine Art Wohnzimmer. Dass es sich dabei in der Mehrheit um den aufgeklärten Teil der Bevölkerung handelt, liegt auch an Fred Eichhorn, wie Puschel mit bürgerlichem Namen heißt. Ein Basecap mit St. Pauli Schriftzug ins Gesicht gezogen, dazu ein schwarzes T-Shirt mit gelber Aufschrift: „Keep calm and cool – Batman“, betritt der 56-Jährige kurz nach Spielbeginn seinen Laden. Schwarz-gelb hat er wegen Dortmund angezogen, obwohl eigentlich Bayern München sein Verein ist.
Am Skattisch wird derweil die Koalitionsfrage diskutiert. „Ich will keinen Lindner“, schimpft der Fotograf. Die SPD müsse deshalb so stark wie möglich werden. Fazit: „Ich wähle Schulz!“ Apropos SPD: Eva Högl habe im Kiez Klinken geputzt, erzählt die Wissenschaftlerin. „Meine Freundin hat sie in ihre Wohnung eingeladen.“ Zwei Stunden habe die Freundin ihrer Enttäuschung über die Sozis Luft gemacht, dann habe Högl die Flucht ergriffen. Alle lachen.
Für den Wahltag, wenn auf der Potsdamer Straße der Marathon vorbeiläuft, hat Puschel eine Jazzband bestellt. Sie wird vor der Kneipe spielen. Man darf gespannt sein, welches seiner 400 T-Shirts der Wirt dann trägt. Das mit der Aufschrift „Zeuge Jever“? Oder vielleicht doch besser: „Yes we Korn“?
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