Gummi für Gerd und Flax für Flachsbarth

Sie verteilen Gimmicks mit mehr oder weniger Bezug auf ihre Kandidaten, sie klopfen markige Sprüche, und am Sonntag zittern sie für ihre Partei: Besuch bei den Basiswahlkämpfern

Die Generation Juso trägt Gummi. 1,3 Zentimeter breit, sechs im Durchmesser, rot. Ein Bändchen, auf dem steht „Freiheit, Gerechtigkeit, Solidarität“. Einige haben sich dieses Symbol moderner Sozialdemokratie ums Handgelenk gebunden, hier in Raum 102 im 2. Stock des Kurt-Schumacher-Hauses, schräg gegenüber vom Busbahnhof in St. Georg.

236 neue Mitglieder hat die Hamburger SPD in den vergangenen zwei Monaten gewonnen, 141 davon Jusos, also Menschen unter 35. Immerhin zwei Dutzend frische Genossen sind der Einladung zum Neumitglieder-Abend gefolgt – und etliche lang bewährte Sozialdemokraten.

„Ein herzliches Willkommen in der alten Partei“, sagt Philipp-Sebastian Kühn ins Mikrofon, und als alle lachen: „alten, stets jungen Partei.“ Er findet das sehr lustig. Kühn, blau-gelbes Hemd und gegelte Haare, würde rein optisch auch gut in die Junge Union passen oder zu den Julis. Er trägt kein Armband. Muss er nicht. Kühn, 28, ist seit elf Jahren Juso, inzwischen sogar Landesvorsitzender – einer mit markigen Sprüchen. „Erstens: Wir sind gegen Studiengebühren. Zweitens: Wir machen eine kluge Außenpolitik. Drittens: Unser Kanzler ist für den Friedensnobelpreis nominiert. Deshalb sollte man sich in der SPD engagieren.“

Wegen Punkt eins, Studiengebühren, macht der Gymnasiast Johannes Roßberg, 20, in der Partei mit – auch wenn er sich noch nicht sicher ist, ob er nächstes Jahr nach dem Abitur überhaupt studieren will. „Ich war erst bei den Schüler-Jusos, jetzt bin ich in den Mutterkonzern eingetreten,“ erklärt er stolz. Obwohl erst seit kurzem SPD-ler, ist Roßberg ein Wahlkampfhelfer par excellence; seine Partei-Woche hat fünf Tage: samstags am Stand für Olaf Scholz und Gerd Schröder, sonntags Plakate kleben, mittwochs Juso-Stammtisch, donnerstags wieder Straßenwahlkampf, freitags Kneipentour mit Kanzler-Flugblättern. Aber er sagt auch: „Wenn meine Eltern Mittelständler gewesen wären, wäre ich jetzt vielleicht in der FDP.“ Am rechten Handgelenk des 20-Jährigen leuchtet es rot; am linken trägt er die Mutter aller Handgummis, das gelbe „Livestrong“-Band von der Krebsstiftung des Radfahrers Lance Armstrong.

Der Landesvorsitzende der SPD begrüßt die Neuen, der Vertreter der über 60-Jährigen in der Partei sagt ein paar nette Worte ins Mikro, eine Sprecherin der Frauen, ein Herr von der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen und ein Mitglied der Schwusos, der Schwulen und Lesben in der SPD. Dann gibt’s belegte Brötchen und Wein.

Auf den Bistrotischen mit den roten Wachsdecken liegen Flyer. Auf dem einen ist eine Tischkicker-Figur zu sehen, im roten Trikot natürlich, und der Satz: „In welchem Team spielst du?“ Ein anderes Flugblatt fragt: „Merkelt sie’s noch?“ Frau Merkel ist wichtig für den Wahlkampf. Anti-Angie macht mehr Spaß als Pro-Gerd, zumindest den Jusos.

Noch bis Ende der Woche verteilen sie frühmorgens Aufkleber vor den Hamburger Schulen. Auf denen ist die CDU-Kandidatin mit dicken Tränensäcken „verliebt in Bush“ – alles in rosarot, angelehnt an die Sat.1-Telenovela „Verliebt in Berlin“. Nach Schulschluss wird dann mit Gummibändern und Brausepulvern geworben – weil die Jusos heute Kondome albern finden, anders als im Wahlkampf vor drei Jahren. Samstags ab 22 Uhr stehen Kühn und seine Mitstreiter auf der Reeperbahn und spielen Trinkspiele mit dem Partyvolk: Wer das Glücksrad gut dreht, bekommt einen Erdbeerlime ausgeschenkt. „Diskussionen über Politik kommen da auch zustande“, sagt der Juso-Landesvorsitzende Philipp-Sebastian Kühn. „Und wer besonders nett ist, bekommt auch einen zweiten Drink.“

Martin Hartmann, 19, macht alkoholfreien Straßenwahlkampf. Er verteilt nach der Schule Flyer, für den Eimsbütteler Kandidaten Niels Annen und für den Kanzler. Solche, auf denen für soziale Gerechtigkeit geworben wird. Seit Mai hat er Parteibuch und Mitgliedsausweis. Seine Beziehung zur SPD habe sich über Jahre entwickelt, erzählt der schüchterne Schüler mit den wasserstoffblonden Haaren. „Ich habe mir vorgenommen: Wenn ich zuhause ausziehe, trete ich in die SPD ein“, sagt er und beißt in sein Körnerbrötchen. Wäre es nach der Mutter gegangen, fände man ihn jetzt in der Linkspartei.

Er hat sich heute Abend schick gemacht. Grün-weiß gestreifte Krawatte und ein dunkelblauer Anzug, der bestimmt zwei Nummern zu groß ist. Noch unsicher unterhält er sich mit neuen sozialdemokratischen Freunden, steht immer weiter von ihnen entfernt als nötig. Martin Hartmann sagt „Gerhard Schröder“, nicht „der Gerd“. Noch ist er nicht richtig angekommen in der SPD. Christina Stefanescu

Seine Gemeinschaftskundelehrerin hatte rote Haare. Wenn man fragt, wer wohl schuld daran ist, dass Sebastian Lechner zum Polit-Junkie geworden ist, redet er von den Haaren und seinem eigenen sturen Kopf. Und von Angela Merkel. Samt Foto hat sich der 24-Jährige als einer von 800 Merkel-Fans im „teAM Zukunft“ der CDU registriert. Ansonsten quatscht Lechner Wildfremde an, um ihnen Flyer in die Hand zu drücken. Nur nicht zu offensiv, denn der Wähler ist ein scheues Reh. Lechners Trick: „Lächeln, freundlich ‚Guten Tag‘ sagen und fragen ‚Darf ich ihnen etwas mitgeben?‘“

Der Rasen am Haus von Familie Dames ist wie mit der Nagelschere getrimmt, die orangen Markisen passen prima zu den weiß-orangenen Schirmen mit dem CDU-Logo. „Heute sind in Bennigsen zwei berühmte Persönlichkeiten zu Gast“, sagt Hartmut Rieck, der sich zur Feier des Tages seine „Hartmut“-Grillschürze umgebunden hat. „Justus Frantz dirigiert nebenan in der Kirche, die zweite Berühmtheit ist Doktor Maria Flachsbarth. Und ich sage ihnen ganz ehrlich“, witzelt der Ortsbürgermeister von Bennigsen: „Diese Nummer Zwei ist mir eindeutig lieber“.

Applaus, später noch ein Gläschen Müller-Thurgau und ein paar Würstchen fassen – 30 CDUler aus dem kleinen Dorf zwischen dem Deister und Hannover tanken an diesem Spätsommerabend die letzten Kräfte für die große Wahl. Flachsbarth findet alles „super“ und „toll“, schließlich hat die SPD im Wahlkreis Hannover Land II vor drei Jahren 52 Prozent eingefahren, die CDU nur 30,9. Vier junge Männer mit „Christdemokrat“-Shirt stehen hibbelig um die Bundestagskandidatin herum: Die orangefarbenen Postkarten mit dem Slogan „Flachs mit uns um die Wette“ sind verteilt, der nächste Termin wartet. Dass auf den Karten gar nicht CDU draufstehe, obwohl ja in Flachsbarth sozusagen CDU drin sei, findet Lechner „von Vorteil. So kommt man eher an Leute mit Vorurteilen ran.“

Canvassing in Letter, musikalischer Frühschoppen in Munzel, Wolfgang Bosbach zu Gast in Langenhagen, Scheunenfest in Ahlten, beim Schröder-Auftritt in Hannover hat Lechner „Angie“-Schilder in die Höhe gehalten. Seit Wochen touren er und etwa 40 weitere JUler mit und ohne Flachsbarth durch die Gegend um Hannover. Lechner erzählt von CDU-Erweckungserlebnissen mit David McAllister, der ist auch erst 34 und schon Fraktionschef der CDU. „Ja, wir sind vielleicht etwas angepasster als die anderen“, meint Lechner, der es neben seinem Jura- und VWL-Studium zum Kreischef der Jungen Union gebracht hat. „Aber dafür ist man heute fast schon cool, wenn man konservativ ist“.

Kickboxen würde man ihm gar nicht zutrauen: ein Jungsgesicht, eher schmächtig, mittelgroß. „Als das wegen einer Verletzung nicht mehr ging, musste ich mir was Neues suchen“, begründet Lechner sein Engagement. Nun kämpft er schon seit drei Jahren um Stimmen für die CDU. „Schlüpf in unser berüchtigtes neon-orangenes Trikot und unterstütze uns bei unserem Vorhaben“, steht auf der Homepage, die Lechner für Flachsbarth gebastelt hat. www.flachs-mit.de heißt die Seite. Mit TV-Duell-Bingo und Unterstützer-Galerie.

Parteiarbeit ist Basisarbeit. Maria Flachsbarth, 42, stand vor zehn Jahren selbst noch samt Kinderwagen auf dem Marktplatz in Wunstorf, um Wahlkampf zu machen. Inzwischen wird sie als niedersächsische Sozialministerin gehandelt, wenn Ursula von der Leyen nach Berlin wechselt. Der Grund für Flachsbarths Aufstieg ist nicht nur typisch für die CDU. Flachsbarth: „Schreiben Sie ruhig, dass ich eine Quotenfrau bin“. Das Engagement der vielen JU-Jungs und wenigen Mädels findet sie natürlich „super“: „Die bekommen nichts dafür – und es sind viel zu viele, als das sich alle auf die Karriere-Schleimspur in der Partei setzen könnten“.

         Kai Schöneberg