: Der fantastische Lauf der Dinge
Berlin Art Week Miet Warlop war bislang Theatergängern ein Begriff, nun kann man sie als Performancekünstlerin erleben. Fliegende Haie, Schaumfontänen, Farbexplosionen inklusive
von Brigitte Werneburg
Bislang ist Miet Warlop wohl vor allem Theatergängern aufgefallen. Jedenfalls in Berlin, wo sie schon mehrmals auftrat, aber eben immer unter dem Label Theater. Vor zwei Jahren etwa auf dem Stückemarkt des Theatertreffens mit „Mystery Magnet“ oder vor einem Jahr im HAU2 mit „Dragging the Bone“ und dieses Jahr im März mit ihrem aktuellen Stück „Fruits of Labor“.
Im Rahmen der 6. Ausgabe der Berlin Art Week will nun das HAU2 mit der Werkschau dieser drei Stücke auch die Freunde der bildenden Kunst auf der Performerin aufmerksam machen. Das ist eine gute Idee, nicht nur weil die Belgierin ursprünglich von der Kunst kommt − sie hat an der Kunstakademie in Gent studiert −, sondern auch weil mit der Kontextverschiebung eine Verschiebung der Sichtweise auf ihre Performances einhergeht. Wird ihr Werk im Umfeld des Theaters gern als ein bisschen dünn bemäkelt, zeigt es dem Kunstbetrieb eine Perspektive auf, wie gerade die nichtpartizipatorische Performance sich als Tableau Vivant durchaus hochkomplex gestalten kann.
Die unterschiedliche Wahrnehmung hängt mit der fehlenden narrativen Struktur zusammen und vor allem mit den vielen losen Enden der einzelnen Bühnenaktionen, denen sie eher wenig Gewicht beimisst, jedenfalls im Vergleich zum Status der Objekte, die sie auf der Bühne auffährt und dort in Bewegung setzt, in Farbe und Licht taucht, zerbröselt, aufräumt und beschallt. Miet Warlop brüskiert das Theater, indem sie die Rolle der Choreografin, Bühnenautorin, Stückeschreiberin oder DJ einnimmt, aber nicht ausfüllt. Tatsächlich agiert sie als Bildhauerin. Und als Bildhauerin im 21. Jahrhundert – an der Akademie in Gent schloss sie ihr Studium entsprechend als Master in 3D-Kunst ab − stehen ihr die erstaunlichsten Mittel zur Verfügung. Angefangen bei der Bühne, die etwas ganz anderes hermacht als ein simpler Sockel.
Dabei ist auch der Sockel bei Miet Warlop keineswegs ein einfaches Podest oder Piedestal. Er ist eher so etwas wie eine Gebärmutter oder wie der Zylinder eines Zauberers, aus dem statt lebender Kaninchen ein gipsernes Damenbein hervorkommt. So etwa beim Sockel, der in „Dragging the Bone“ eine pinke Pyramide übereinandergestapelter Gebisse trägt, die die Bronzeleber von Piacenza verkörpern will, eine antike Skulptur, die als Orakel verwendet wurde. Neben der Leber stehen in „Dragging the Bone“, einer Soloschau Miet Warlops, zunächst noch fünf gipserne Trockenhauben auf der Bühne, die aussehen wie der verfünffachte „Schrei“ von Edvard Munch.
Warlop liebt solche Kunstzitate, in „Mystery Magnet“ führt uns ein dicklicher Junge vor, wie man einen Ballon zum „Balloon Dog“ zusammendreht, den die Kunstszene nur noch als 100-fach vergrößerte und spiegelblank polierte Edelstahlskulptur von Jeff Koons kennt. Die Ernüchterung durch das Basteln des Luftballonhunds kommt unwillkürlich in einem kleinen Lachen zum Ausdruck, das durchaus auf Kosten von Koons und jenes Sammlers geht, der 2013 58,4 Millionen Dollar für „Balloon Dog“ hinlegte.
Und dieses kleine Lachen kann nicht schaden während der Berlin Art Week. Denn es bringt einen ein wenig auf Distanz zum Kunstbetrieb und zu sich selbst als Teil dieses Kunstbetriebs, der eben doch ein Jahrmarkt der Eitelkeiten ist, die sich freilich rentieren, also verkaufen müssen. Was ja nun wieder auf einer klassischen Messe geschehen soll, für die sich die Art Cologne mit der Art Berlin Contemporary verbündet hat. 110 Galerien aus 16 Ländern waren interessiert, beim Debüt der Art Berlin dabei zu sein. Und wenn die neue Messe, trotz der klassischen Kojenarchitektur, die sie zeigt, keine ganz gewöhnliche Messe sein will: Einfach so verrücktes Zeug zu machen, das geht nicht. Oder nur bei Miet Warlop, die ein wirkliches Festivalereignis ist. Die Festivalpartner sind dabei eine lange Reihe europäischer Kulturinstitutionen.
Auch dank dieser Partner kann sie in ihrem Studio unerhörte Dinge herstellen und in aller Ruhe ausprobieren, was mit ihnen alles anzustellen ist. Das kann dann ein Gipsröckchen sein, in dem sie über den Boden rollt, wobei sie einen schönen Kreidekreis zeichnet; von den blauen Flecken, die sie dabei erleidet, mal ganz zu schweigen. Dass sie bei ihren Performances selbst immer mitwirkt, ist Prinzip, wie sie am Montag auf der Pressekonferenz im HAU erklärte. „Ich möchte mit im Bild sein und das Risiko mit tragen.“
Denn, wenn sie nicht im Bild ist, sagt sie, könnte der Eindruck entstehen, ihre Performance sei wie ein festgeschriebenes Stück, „was sie nicht ist.“ Es ist vielmehr ihre Energie und die ihrer MitspielerInnen, die der Aufführung im Moment ihre definitive Form gibt.
Wenn Miet Warlop am Samstag alle drei Performances hintereinander weg aufführen wird, sind dann also fliegende Haie, Schaumfontänen, Farbexplosionen, Mini-Trucks und laufende Hosen zu erleben, kurz: ein fantastischer Lauf der Dinge, in dem Menschen und Gegenstände in ungeahnte Beziehungen treten, und der dann mit „Fruits of Labor“ endet, einer mitreißenden Revue aus Songs und Tänzen rund um einen überdimensionierten weißen Kubus, dem Superzeichen für Miet Warlops fantastisches Experiment mit einem zeitgenössischen Surrealismus.
„Mystery Magnet“: 15. 9., 20 Uhr und 16. 9., 16.30 Uhr, „Dragging The Bone“: 14. 9., 20 Uhr und 16. 9. 19 Uhr, „Fruits of Labor“: 16. 9., 21 Uhr, jeweils im HAU2, Hallesches Ufer 32
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