piwik no script img

Die zwei Karrrieren des Alberto Contador

Abgang Der spanische Radsportheros, einst gefeierter Rundfahrtsieger und geächteter Dopingkonsument, beendet seine Karriere mit einem spektakulären Sieg auf dem letzten Berg der Spanienrundfahrt. Noch einmal zeigt er, warum die Fans ihn mittlerweile lieben

Nach der letzten Attacke: Alberto Contador genießt die Huldigungen seiner Anhänger Foto: dpa

vom Alto de l’Angliru Tom Mustroph

Die letzten 5 Kilometer des letzten Berges seines Profi-Lebens nahm Alberto Contador ganz allein in Angriff. Zuvor hatte er sich gemeinsam mit seinem treuen Klettergefährten Jarlinson Pantano, von seinen Qualitäten mindestens ein halber Pantani, aus dem Feld gelöst. Mann um Mann hatten sie die Ausreißer aufgesammelt. Namhafte Burschen darunter: Die beiden Yates-Zwillinge, die als Britanniens größte Rundfahrttalente nach Chris Froome gelten, aber lieber nicht zu Sky gekommen waren, der Tour-Zweite Romain Bardet und auch Spaniens Klettertalent Marc Soler.

Sie alle machten ein paar Pedalumdrehungen im Schatten des alten Kämpen mit. Dann wurden sie zurückgelassen. Auch Kumpel Pantano blieb irgendwann erschöpft am Rande der Straße stehen. Der Angliru gehörte allein Contador. Selbst Chris Froome, der von hinten angeflogen kam, nicht selbst fliegend freilich, sondern im Schlepptau seines wie entfesselt fahrenden Helfers Wout Poels, selbst die beiden kamen nicht heran. Auf dem letzten Berg seiner langen Karriere gelang Contador das Kunststück, mal wieder zu gewinnen. Es war, man staune, zugleich sein allererster Sieg in dieser Saison.

Unwillkürlich fühlte man sich an 2008 erinnert. Auch damals erklomm der Spanier als Erster den Angliru. Leichter sah es da noch aus. Der Tritt war flüssig, der Oberkörper pendelte energisch über dem Sattel. Ja, auch das Gesicht war glatt, damals. Ein weiterer Unterschied: Contador hatte den Gesamtsieg vor Augen. 23 Sekunden hatte er als Gesamt-Dritter nur zurückgelegen. Neben dem Sieg winkte ihm auch das Führungstrikot, damals noch in glänzendem Gold gehalten. Er holte es sich, natürlich. Es war die Zeit, in der Contador die Siegerpodien nur so stürmte. 2007 das auf den Champs Élysées, als Behelfssieger damals noch, weil man den seinerzeit stärksten Fahrer, den Dänen Michael Rasmussen, wegen Umgehung von Dopingkontrollen aus dem Rennen genommen hatte. 2008 folgte dann das Double aus Giro und Vuelta – ein Behelfsdouble übrigens, denn Contadors damaliges Team Astana war von der Tour ausgeschlossen worden wegen zu vielen Dopingfällen in der Vergangenheit. Was für Zeiten! 2009 war es zwar mit dem Doping noch nicht unbedingt besser, also weniger Doping und weniger bessere Leistung durch Pharmazie, geworden. Aber die Tour de France ließ Astana dennoch wieder zu – und Contador holte sich ab, was für den besten Fahrer seiner Generation eben herumlag: den Toursieg.

Danach kam auch für ihn eine Dopingsperre, eine direkte, nur ihn betreffende. Die kostete ihn nachträglich den Toursieg 2010 und den Girosieg 2011. Auch das gehörte zu den alten Zeiten, dass ein Fahrer trotz positiver Probe noch starten durfte, solange sein Widerspruch noch nicht verhandelt war.

Nach der Dopingsperre war es aus mit der alten Siegerei. Contador schlug zwar noch zweimal bei der Vuelta und einmal beim Giro zu. Aber schon die Vuelta 2012, die erste Grand Tour nach der Sperre, zeigte einen verwandelten Athleten. Contador gewann damals eine schon längst verloren geglaubte Vuelta mit einer Attacke 50 Kilometer vor dem Ziel! Es war historisch, es war episch, es war die Geburtsstunde von Contador 2.0.

Die Power in den Beinen reichte nicht mehr für die motorradgleichen Beschleunigungen von einst. Aber hinterherfahren, das wollte dieses Großtalent, Doping hin, Doping her, dann auch nicht. Also fuhr er mit Köpfchen, legte Fallen aus, startete Angriffe, von denen nichts in den Radsportlehrbüchern des Postmillenniums stand.

Klar, in den Zeiten von ­Merckx oder Anquetil oder gar Coppi und Bartali, da hatte es das zuhauf gegeben, dass manch kraftstrotzender Bursche sogar vom Startschuss weg das Weite suchte und am Ende ganz vorn ankam. Zu viele Wattzähler am Lenker halten aber davon ab. Wenn man auch noch vor Augen hat, und nicht nur in den Beinen spürt, was man mehr leisten muss, wenn man lange alleine fährt, dann lässt man das doch lieber.

Alberto Contadors Angriffslust wird fehlen im techni­sierten Peloton

Contador, der Contador 2.0, ist aber anders. Der attackiert auch mal, wenn das Ziel noch weit weg ist, wenn der Erfolg ganz unwahrscheinlich ist. Bei dieser Vuelta attackierte er so oft, dass die heimischen Medien bei der Beschreibung seiner Aktionen zu Metaphern aus dem Bereich der Pyrotechnik griffen. Da waren die Spalten voll von Böllern und Raketen, ja gar von Dynamit war die Rede. Fehlte nur noch TNT. Auch an seinem letzten Profitag in den Bergen zündelte Contador kräftig. Chris Froome, der eigentliche Patron des Pelotons, ließ ihn gewähren. Der Brite war auch dankbar, dass niemand seiner engeren Rivalen – Contador war über drei Minuten von ihm entfernt – den gleichen Übermut wie der Spanier an den Tag legte.

Und ungläubig sah ein Youngster wie Sunweb-Profi Wilco Kelderman, wie der alte Mann im Trek-Dress mit zwar schwerem, aber auch unermüdlichem Tritt seinen dritten Podestplatz noch in Gefahr brachte. Drei Helferbeinpaare verbrauchte Sunweb im Versuch, Contador einzufangen. Vergeblich. Auch der schon etwas ältere Ilnur Zakarin, der Tatare, sah, dass es um mehr ging, als nur ein paar Sekunden auf Kelderman zu gewinnen. Er stürmte dann selber los – und holte zum Lohn Platz drei: 20 Sekunden vor Contador, deren 24 vor Kelderman. Ein Fotofinish um Platz drei. Bemerkenswert: Die stürmischsten Attackierer hatten alle mal Dopingstrafen abzusitzen – neben Contador eben auch Zakarin.

Alberto Contador hat jetzt Zeit, auch über solche Fragen nachzudenken.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen