Foto-Ausstellung in Schöneberg: Bewahren, was verschwindet
Berlin verändert sich so rasant, dass liebgewonnene Orte oft plötzlich einfach weg sind. Das Projekt „Vanishing Berlin“ verewigt diese Orte.
Und plötzlich ist wieder etwas weg: die Pommesbude auf der Oranienburger Straße, die hier lange wie ein schiefer Zahn stand und die auf dem nächtlichen Nachhauseweg immer eine gute Option war.
Oder das Schild vom Bierhimmel, das jahrzehntelang die Kreuzberger Oranienstraße schmückte, auch noch, als der ursprüngliche Bierhimmel längst Geschichte war und man hier unter anderem guten Kuchen aß – leider auch Geschichte. Auch wenn sich die Stadt laufend wandelt, versetzt es einem doch einen Stich, wenn Liebgewonnenes über Nacht verschwindet.
Was vom Verschwinden bedroht ist zu dokumentieren, hat sich Alexander Steffen zur Aufgabe gemacht. Sein Fotoprojekt „Vanishing Berlin“ – verschwindendes Berlin – betreibt er als Blog. Zudem brachte er im Selbstverlag einen hübschen Bildband heraus, angereichert mit Kindheitserinnerungen und ein paar Hintergründen.
Aufgewachsen ist der heute 50-Jährige in der Schöneberger Nollendorfstraße, nicht weit von dort, wo er jetzt im ehemaligen Pudel-Salon die zweite Auflage seines Buchs mit einer Ausstellung feiert.
Kur gegen Berlinmüdigkeit
2008 entdeckte der Autodidakt, der seine Brötchen in der Sponsoringabteilung der Berlinale verdient, bei einem New-York-Aufenthalt eine alte Leidenschaft neu: „Ich hatte viel Zeit und habe drauflos fotografiert, viel Serielles: Ladenfronten, Atombunker“.
„Vanishing Berlin – revisited #2“, Helmstr. 10, Schöneberg, bis 22. 9., Sa. und So. 14 bis 17 Uhr, Mi. und Do. 18 bis 21 Uhr
Steffen, Alexander: „Vanishing Berlin. Dokumente des Übergangs“ (Vanishing Berlin Verlag), 144 Seiten, 32 Euro
Zurück in Berlin fiel es ihm wie „Schuppen von den Augen“, dass es auch vor der eigenen Haustür viel zu entdecken gibt. Das, so erzählt er, kurierte ihn von einer latenten Berlinmüdigkeit, schließlich hatte er so einen Grund, sich ganz neue Ecken zu erschließen.
Dass eine blutleere Investorenarchitektur und kurzlebige Geschäftsmodelle, die beim Ladendesign entsprechend wenig Aufwand betreiben, Städte immer gleichförmiger aussehen lassen, macht ihn nicht nur melancholisch, sondern wütend. „Es stört mein ästhetisches Empfinden. Ich empfinde es als totalen Verlust, was alles durch hässliches, uniformes Design ersetzt wird.“ Und dazu noch all die Ketten, die Einkaufsstraßen immer mehr homogenisieren.
Dass er einen Nerv trifft, zeigt der Zuspruch, den sein Projekt bekommt. Eine Crowdfundingkampagne hatte das Buch schnell finanziert, auch eine erste Ausstellung in den ehemaligen Räumen von Linoleum Pannier in der Katzbachstraße (mittlerweile sind die übrigens wieder vermietet) fand viel Anklang.
Und auch wenn die von Steffen dokumentierten Veränderungen die Bewohner dieser Stadt – anders als etwa explodierende Mieten – nicht direkt in Bedrängnis bringen, steht das Interesse an „Vanishing Berlin“ wohl auch für ein Unbehagen angesichts rapider Veränderungen im eigenen Lebensumfeld.
Beim Einfangen der Motive sei inzwischen Eile geboten, so Steffen: „Anfangs konnte ich mir beim Fotografieren Zeit lassen. Das ist seit vier, fünf Jahren anders. Nun wird auch auf Grundstücken gebaut, die lange Spekulationsobjekt waren, aber in Ruhe gelassen wurden.“
Eine Fortsetzung des Bildbands ist aktuell nicht geplant. Öfter mal einen Blick auf den Blog zu werfen, lohnt dennoch: Auf dieser Ebene will Steffen das Projekt weiterführen, angedacht sind etwa Kurzfilme über besondere Orte. Auch interessiert ihn die Internationalität, die in dem Thema steckt. Schließlich finden vergleichbare Prozesse in vielen Städten statt. Auf seiner Webseite gibt es auch Fotos aus Wien, Barcelona oder New York.
Kein Wunder, dass dieses Thema einen vom Hölzchen aufs Stöckchen bringt. Einen halben Nachmittag sitzen wir vor dem Pudel-Salon, wo Steffen die Ausstellung vorbereitet, die das Besondere im Vertrauten, manchmal aber auch ein fast fremdes Berlin präsentiert (der Gartencenter Alfred Bajon, am Spandauer Damm etwa wirkt geradezu mediterran – ganz früher war da mal ein Ausflugslokal). Immer wieder freuen sich Passanten, einen Blick in den Pudel-Salon werfen zu können, schließlich sind sonst immer die Rollläden unten.
Rumpelig-schiefes Patchwork
Als Klage, dass früher vieles besser war, will Alexander Steffen seine Bilder nicht verstanden wissen. Tatsächlich geht es nicht nur um den Vintage-Appeal vergangener Zeiten, die Fotos bilden auch das rumpelig-schiefe Patchwork ab, das Berlin eben auch ist: die unwirtliche Ecke an der Imbiss-Oase am Anfang der Karl-Marx-Allee, die schwindenden Brachen und Brandmauern.
Lieber sieht Steffen seine Arbeit als Ermunterung, Veränderungen mitzugestalten und das Besondere der Stadt nicht zu verlieren. Er freut sich über Bürgerinitiativen wie Bizim Kiez oder Stadt von unten. „Die politische Stimmung ist ja: ‚Da kann man nix machen.‘ “ findet er. „Oft bewegen aber Menschen mit langem Atem doch viel. Selbst wenn es nur wenige sind.“
Doch zurück zu den immer gleichförmigeren Ladenfronten. Steffen begeistert sich auch für die Arbeit des Buchstabenmuseums Moabit, in dem Typografie aus dem öffentlichen Raum gesammelt wird: „Besser ist es natürlich, wenn die Schriftzüge hängen bleiben. Es gibt ja auch Beispiele, wo Geschäftsleute den Charme eines Ladens bewahren, wenn ein neues Gewerbe einzieht.“
Über die Fassade des Pudel-Salons muss man sich erst einmal keine Sorgen machen. In der Ladenwohnung wohnt Okan Onur samt Familie. Onur handelt mit Mid-Century-Möbeln, der einstige Salon dient als Lagerraum, gern würde er den Raum künftig auch als Laden nutzen.
Eine schönere Werbung für seine Möbel kann man ja kaum vorstellen – wenn alles gleich aussieht, wird schon eine interessante Typografie zum Hingucker. Zumindest in diesem Punkt könnten die Mechanismen des Markts dann doch etwas Begrüßenswertes für das Stadtbild tun.
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