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Hilflos im Heim: Pflegekräfte überfordert

STUDIE Gewalt in Pflegeeinrichtungen ist keine Seltenheit. Zu wenig Fortbildung und Supervision

BERLIN taz | Die Mordserie des Krankenpflegers Niels H. an seinen Patient*innen in niedersächsischen Krankenhäusern fand vor einem düsteren Hintergrund statt: Gewalt in Pflegeeinrichtungen ist keine Seltenheit. Das ergab eine Studie, deren Kurzfassung das Deutschen Institut für angewandte Pflegeforschung am Montag veröffentlichte. Bei der Stichprobenbefragung von rund 400 Pflegefachkräften ergab sich, dass 70 Prozent von ihnen in den letzten drei Monaten Gewalt gegen Patient*innen erlebt hatten. Die Mehrzahl von ihnen gab an, dass dies „sehr selten“ der Fall gewesen sei, aber 11 Prozent hatten sogar „eher häufig“ oder „sehr häufig“ angegeben.

Noch finsterer sieht es mit der Frage aus, ob Pflegemaßnahmen gegen den Wunsch der Patient*innen durchgeführt wurden: Das ist quasi normal. Über 80 Prozent der Befragten gab an, dies in den letzten drei Monaten erlebt zu haben, ein Drittel sogar „eher häufig“ oder „sehr häufig“.

Was aber passiert, wenn es zu Gewaltfällen kommt? „Nichts“, war die häufigste Antwort. Gut zwei Drittel der Befragten berichten davon, dass solche Fälle „sehr selten“ oder „nie“ aufgearbeitet würden. In der Hälfte der Einrichtungen, in denen die Befragten tätig waren, wird über das Thema „Gewalt in der Pflege“ auch nicht allgemein gesprochen, gibt es weder Fallbesprechungen noch regelmäßige Supervision oder ein Deeskalationsmanagement. Knapp ein Drittel der Befragten gab denn auch zu, sich eher nicht in der Lage zu fühlen, eine drohende Gewaltsituation zu deeskalieren. Und 43 Prozent wissen nicht, wie sie mit schon entstandenen Gewaltsituationen umgehen sollen.

Die Autor*innen der Studie nennen das Ergebnis „erschreckend“. Offensichtlich sei, dass es zu wenig Angebote für den Umgang mit Gewalt gebe. Nach dem Fall Niels H. diskutieren Fachleute auch über ein anonymes Meldesystem für Gewalt- und Konfliktfälle. OES

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