Der Abwesende

WAS SAGT UNS DAS? Wagners Urenkel protestiert gegen „Lohengrin“-Aufführung bei Feier zum 9. November

In Wagners „Lohengrin“ ist Herzog Gottfried der große Abwesende, um dessen Verschwinden die Handlung kreist. Auch im Wagner-Clan nimmt ein realer Gottfried die Position des Abwesenden ein: Gottfried Wagner ist Urenkel des Komponisten, Sohn des Patriarchen Wolfgang, Bruder von Eva Wagner-Pasquier und Halbbruder von Katharina. Mit seiner Autobiografie „Wer nicht mit dem Wolf heult“ sagte er sich in kritischer Distanz zu den nicht aufgearbeiteten Naziverwicklungen der Familie endgültig los vom Clan.

Nun hat Gottfried sich wieder zu Wort gemeldet und kritisiert das Musikprogramm des heutigen „Fests der Freiheit“, bei dem die Staatskapelle Berlin unter Daniel Barenboim am Pariser Platz aufspielen wird. Stein des Anstoßes sind ihm die ersten beiden Programmpunkte: Auf das Vorspiel zum dritten Akt von „Lohengrin“ folgt Schönbergs Holocaustmahnung „Ein Überlebender aus Warschau“ zum Gedenken an die Pogromnacht vom 9. November 1938. Ein Dorn im Auge sind Wagner vor allem die mangelnden Hinweise der Veranstalter (Kulturprojekte Berlin im Auftrag des Senats) auf den nachgewiesenen Antisemitismus seines Urgroßvaters, der sich mit dem nachfolgenden Werk Schönbergs auf skandalöse Weise nicht vereinbaren ließe.

Kühn ist die Zusammenstellung in der Tat, riskant auf alle Fälle. Erschließt sich die Reibung überhaupt dem festlich gestimmten Hörer? Wie immer, wenn es um Wagner und seine irritierende Ambivalenz geht, liegen die Dinge kompliziert. Man darf davon ausgehen, dass der für seine Durchsetzungskraft bekannte Barenboim das Programm sich gewiss nicht hat vorschreiben lassen. Und noch viel weniger ist gerade ihm, der einen ausgeprägten Sinn für die geschichtsträchtige Geste besitzt – 2001 ließ er in Israel zum ersten Mal seit 1938 wieder Wagner erklingen –, die Programmauswahl bloß unterlaufen. Wagner moniert, dass das Vorspiel auf die säbelrasselnde 3. Szene einstimme, in der ein deutscher Nationalstaat beschworen werde. So einfach ist es aber leider nicht.

Denn tatsächlich illustriert es die Hochzeitsszene, der sich der berüchtigte Brautchor „Treulich geführt“ anschließt. Zudem muss ein ganz anderes Datum in Erinnerung gerufen werden, auf das die Pressemitteilung unkommentiert hinweist. Wagner vollendete die „Lohengrin“-Partitur am 28. April 1848. Fünf Tage später wurde der damalige Hofkapellmeister zum Barrikadenkämpfer und zu einer den zentralen Figuren des Dresdner Maiaufstands. Man darf gespannt sein, ob und wie die Konzertabfolge erläutert wird. Anzunehmen ist, dass Sinn oder Unsinn der Wagner-Schönberg-Konfrontation ohnehin in der Häppchenästhetik des Programms untergehen dürfte. REGINE MÜLLER