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Opfer der vorgezogenen NeuwahlenCDU bremst Patientenschutz aus

Mit einer Novelle des Krankenhausgesetzes wollte Niedersachsen Lehren aus den Klinik-Morden in Delmenhorst ziehen. Jetzt fällt es den Neuwahlen zum Opfer

Krankenhaus-Patienten in Niedersachsen bleiben erst einmal allein. Foto: Peter Endig/dpa

BREMEN taz | Tote, lauter Tote. Während noch die neueste Opferzahl des Delmenhorster Todespflegers für Diskussionen sorgt und der Abschlussbericht der polizeilichen Sonderkommission zu Niels Högels Jahrhundertverbrechen diskutiert wird, droht in Niedersachsen die Novelle des Krankenhausgesetzes zu scheitern. Gestern warnte die Apothekerkammer in Hannover davor, mit dem Gesetzentwurf auch den Plan zu begraben, flächendeckend und verbindlich StationsapothekerInnen einzustellen.

Die sieht der Entwurf vor, den Gesundheitsministerin Cornelia Rundt im März in den Landtag eingebracht hatte. „Eine wirtschaftlich effektive und gleichzeitig sichere Arzneimitteltherapie kann nur erreicht werden, wenn Apotheker über die Arzneimittel-Logistik hinaus mit den Ärzten und Pflegekräften im Team zusammenarbeiten“, so Kammerpräsidentin Magdalene Linz.

Zielsetzung: Mehr Patientensicherheit

Mit der Gesetzesänderung sollte auf die Mordserie reagiert werden. Ein Sonderausschuss des Landtags hatte schon im Juni 2016 einvernehmlich den Arbeitsauftrag ans Ministerium formuliert. Zielsetzung: die Patientensicherheit in den Krankenhäusern stärken (taz berichtete). Einvernehmlich hatte der Ausschuss sogar ein Maßnahmenbündel definiert: die Einrichtung von Arzneimittelkommissionen, eines Whistleblower-Systems, von Mortalitätskonferenzen – und eben die Einstellung von StationsapothekerInnen hätten durch Gesetz vorgeschrieben werden sollen.

Apotheker weltweit

In Europa und in den Industrieländern außer Deutschland sind Krankenhaus- oder Stationsapothekermodelle die Norm.

Niedersachsen wirkt hier unterversorgt: Von den 178 Kliniken des Landes haben nur 17 bislang eine eigene Apotheke.

Bundesweit gab es im Jahr 2015 nur noch 390 Klinikapo­theken – bei sinkender Tendenz.

Damit sind im Schnitt 0,4 Apotheker pro 100 Klinikplätze fest am Krankenhaus eingestellt.

In Großbritannien liegt der Wert mit 4,4 Apothekern pro 100 Betten elfmal so hoch.

In den USA drängen sich 17,5 Apotheker an 100 Klinikbetten.

Nach der ersten Lesung im Landtag war es im Fachausschuss beraten worden. Doch jetzt ist Funkstille: Zwar könnte auch der aufgelöste Landtag die Regelung beschließen. Aber er wird es nicht. Ursache ist laut SPD-Gesundheitspolitiker Uwe Schwarz eine „Blockadepolitik“, die zumal von der CDU „zum Nachteil von Patienten und Pflegepersonal“ betrieben werde.

Denn die Union will gar nicht mehr, die FDP erst nach der Wahl über das Vorhaben beraten. Unverantwortlich nennt Schwarz das, nichts habe die Opposition offenbar aus den Klinikmorden gelernt. Stattdessen würde sie die „Maßnahmen zur Verbesserung der Patientensicherheit verschleppen“. Denn, so Schwarz zur taz, „wir hatten eine Expertenanhörung, deren Ergebnisse sind eingearbeitet – der Entwurf war beschlussfähig“.

Knackpunkt Apothekerfrage

Dem widerspricht Sylvia Bruns, ­Gesundheitspolitikerin der Landtags-FDP: „Es gab noch Klärungsbedarf.“ Inhaltlich habe sie das Whistleblower-System für problematisch gehalten. Der Knackpunkt aber sei die Apothekerfrage gewesen: „Hier war die Finanzierung noch nicht geklärt“, so Bruns. Man könne die nicht beschließen, ohne die nötigen Gelder bereitzustellen.

Tatsächlich trägt der Entwurf den Kliniken auf, die durch die „Umsetzung entstehenden zusätzlichen Kosten aus den Erlösen aus Pflegesätzen zu refinanzieren“. Sprich: umzuschichten. „Ob das der Patientensicherheit dient, bezweifle ich“, sagt Helge Engelke, Verbandsdirektor der Niedersächsischen Kranken­hausgesellschaft (NKG).

Es geht um 8,2 Millionen Euro landesweit: Das klingt nach viel. Die machen indes nur 0,1 Prozent der jährlichen Gesamtkosten aus – nicht zu viel, um sich internationalen Standards anzunähern, findet der Grünen-Gesundheitspolitiker Thomas Schremmer. Zudem trügen Stationsapotheker „nachweislich auch zur Senkung der Arzneimittelausgaben im Krankenhaus bei“. So gelten die durch Medikationsfehler verursachten Kosten als hoch – und schwer kalkulierbar: Eine von der EU-Kommission beauftragte Studie schätzt den Betrag für das Jahr 2016 auf zwischen 294 und 5.689 Euro pro Patient.

Ein Apotheker für 300 Betten

NKG-Chef Engelke hält trotzdem das Scheitern der Novelle „eher für eine Chance, das Gesetz in offener Diskussion mitzugestalten“. Man sei ja „gar nicht gegen die Einführung von Stationsapothekern“. Nur wären die Vorgaben schlicht nicht zu erfüllen, schon aufgrund des Fachkräftemangels: Vorgesehen ist, dass ein Vollzeitapotheker pro 300 Betten einzustellen wäre. „Dann bräuchten wir auf einen Schlag 160 Krankenhausapotheker“, so Engelke. „Die gibt es aber nicht.“

In Niedersachsen bildet nur die TU Braunschweig PharmazeutInnen aus, es gibt 77 Studienplätze pro Semester. Es müsste sich also ein ganzer Jahrgang auf Krankenhausapotheke spezialisieren. „Das ist komplett unrealistisch“, sagt Engelke.

Dem widersprechen die Apotheker: „Mit einer komfortablen Übergangsfrist“ gehe die Vorgabe einher, so der pharmazeutische Geschäftsführer der Kammer, Frank Dombeck. Drei Jahre räumt der Entwurf den Kliniken ein, die Zielzahl zu erreichen. Der Stationsapotheker sei „ein wesentlicher Qualitätsfaktor in der Patientenversorgung“.

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3 Kommentare

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  • Eigentlich verdienen Pfleger viel zu wenig in unserem Land. Vielleicht deswegen kann es vorkommen, dass Mörder oder Serienmörder in diesem Beruf „landen“? Würde man deutlich höhere Löhne diesem Beruf gesetzlich zuordnen und die Eintrittsbarrieren in diesen Beruf erhöhen, so hätten wir nicht so viele Skandale beim Thema „Pflege“.

     

    Warum verdient ein Automobilmechaniker mehr als eine Pflegekraft? Sind Autos in unserem Land etwa wichtiger als Menschen?

  • Krankenkassen können das Ganze finanzieren. Es gibt genug Geld, um Patienten in unserem Land besser zu schützen, besser zu heilen und besser zu behandeln!

     

    Die gesetzlichen Krankenkassen haben nach den vorläufigen Finanzergebnissen des Jahres 2016 einen Überschuss von rund 1,38 Milliarden Euro erzielt. Damit steigen die Finanz-Reserven der Krankenkassen auf mehr als 15,9 Milliarden Euro. Am Ende des vergangenen Jahres betrug die Gesamt-Reserve von Krankenkassen und Gesundheitsfonds zusammen 25 Milliarden Euro. Einnahmen in Höhe von rund 224,15 Milliarden Euro standen Ausgaben von rund 222,77 Milliarden Euro gegenüber. 2015 hatten die Krankenkassen noch einen Ausgabenüberhang von 1,13 Milliarden Euro ausgewiesen. Die Finanzergebnisse der Krankenkassen haben sich damit insgesamt im Vergleich zu 2015 um rund 2,5 Milliarden Euro verbessert.

    https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/pressemitteilungen/2017/1-quartal/finanzergebnisse-gkv.html

     

    Eigentlich könnten Apotheker oder bestimmte Mediziner zu Kontrollzwecken bei Krankenkassen oder lieber sonstigen ärztlichen Behörden wie Bundesgesundheitsministerium oder Kassenärztliche Vereinigung eingestellt werden und in allen Krankenhäusern eingesetzt werden. So hätten diese Menschen eine gewisse Unabhängigkeit, die für Kontrollzwecke wichtig ist.

  • Ein Maßnahmenkatalog, zugeschnitten auf diese Problematik, hat Nebenwirkungen. Da geht es dann gar nicht mehr so sehr darum, mordendes Personal zu entlarven, sondern die Hauptnebenwirkung wäre begleitend ein ziemlich schonunsloses Aufdecken von Ärztepfusch, Schäden aufgrund chronischen Personalmangels, das Aufdecken gravierender Defizite aufgrund von Profitdenken, unbrauchbare Medikamente und/oder Geräte usw. usw.

     

    Das alles bedenken Politiker mit, und da möchte eher keiner, daß Deutschland den Orden "medizinisch hinterletzte Bananenrepublik" bekommt. Also tut man, was möglich ist nach dem Motto "wehret den Anfängen". Denn was sind da schon jährlich 10.000 Menschenleben, wenn es um Profite in Milliardenhöhe geht.