IN DER HAND EINES BAUKONZERNS
: Eine Seilbahn spinnen

ROGER REPPLINGER

Eine Seilbahn über die Elbe: schön, wollen wir haben. Sie wird von Hochtief gebaut, aufgrund der guten Erfahrungen, und nie fertig. Ein Seil wird gespannt, die Stadt ist es auch, die Gondeln werden eingehängt, dann passiert – nichts. Bei Versuchsfahrten kotzen die Testpersonen den Ingenieuren auf die Bügelfalten. Der Wind, von dem kein Ingenieur wissen konnte, dass es ihn in Hamburg gibt, lässt die Gondeln schaukeln. Der Fahrbetrieb wird nie aufgenommen.

Nun macht das Stadtmarketing das Fragmentarische, halb Fertige, Unvollendete zu dem Merkmal der „Marke Hamburg“. Hamburg entdecken die Ästhetik des Beinahen. Begabte Fotografen, nicht die der taz, machen Fotos, die zeigen, wie toll die Seilbahn von unten aussieht, mit Raben auf dem Seil in 95 Meter Höhe. Abendblatt und Welt geben gemeinsam einen Kalender heraus, nur mit Fotos der Ruinen Elbphilharmonie, Seilbahn und AKW Brunsbüttel, im Gegenlicht, bei Sonnenauf und untergang, im Schnee, und mit lyrischen Texten ihrer Autoren.

Gut, ein paar Dinge sind nicht so schön. Seilbahn und Elbphilharmonie kosten so viel, da werden die städtischen Kindergärten geschlossen. Die Erzieherinnen gehen mit den Kleinen, alle Hand in Hand und mit Basecaps von Hochtief auf den Köpfen, unter die Seilbahn, und zeigen ihnen, wo nun ihre Kitas hängen.

Damit Hamburg endgültig zur Stadt der Fragmente wird, geht es mit einer Formel 1-Strecke im Alten Land weiter. Alles wird zubetoniert und dann stopp. Sparen wir Benzin, alles gut. Hochtief lässt auch das unfertig. Der Konzern, eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Essen, macht seine Aktionäre reich, in Hamburg schließen alle Hallenbäder, Bücherhallen, die Stabi bleibt ungeheizt. Es gab Zeiten, da wurde fertig, was Hochtief – mit Zwangsarbeitern – anfasste: Reichsautobahnen, Kongresshalle und Deutsches Stadion auf dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, Westwall und Führerbunker.

Nun tritt die Handelskammer – Quell der Innovation – auf, und fordert einen Großflughafen. Nach monatelangen Straßenschlachten und trotz gegenteiliger Urteile höchster deutscher Gerichte, beginnt der ambitionierte und von Hochtief nicht ganz realisierte Bau bei Stade. Der Pfiff: Um Wasser, Luft und Erde zu verbinden, überwölben Start und Landebahnen die Elbe. „Das war noch nie da“, haucht Senator Horch beim Spatenstich. Er tritt nach der ersten Überschwemmung der Baustelle zurück und in den Aufsichtsrat von Hochtief ein. Mittlerweile betteln unbezahlte Polizisten in der Schanze, Feuerwehrleute rauchen Gras, Hochtief lässt das Rathaus pfänden.

Noch einmal regt sich Hanseatenstolz. Außen und Binnenalster deckeln und darauf: Disney World – mit Störtebeker, künstlichen Stürmen und Regen. Der Versuch, die Initiatoren an einen Platz zu bringen, an dem sie kein Unheil anrichten können, scheitert. Aus Ochsenzoll hat Hochtief längst ein Schulungszentrum für ihre Trainees gemacht. Dort lernen sie, wie man Städte, die ein bisschen spinnen, ausnimmt.