Fehler von Mr. Perfect

Lance Armstrong selbst hat den Radsportverband angewiesen, seine Dopingakte an Journalisten weiterzuleiten – jetzt behauptet er, seine positiv getestete Urinprobe sei manipuliert worden

VON ANDREAS RÜTTENAUER

Die Radsportsaison geht ihrem Ende entgegen. Roberto Heras gewann gestern die Spanienrundfahrt. Jan Ullrich hat klammheimlich die Saison beendet. Seine Kollegen bereiten sich auf die Weltmeisterschaften vor, die am Mittwoch in Madrid mit dem Zeitfahren der Frauen beginnen. Aber alles redet über Doping. In diesem Jahr über den Fall Lance Armstrong. Und er ist selbst schuld daran. Denn was viele für undenkbar gehalten haben, Mr. Perfect, jener detailbessene siebenfache Tour-Champion, hat einen Fehler gemacht. Er selbst war es, der dem internationalen Radsportverband (UCI) die Erlaubnis gegeben hatte, seine Dopingakte an die französische Sportzeitung l’Equipe weiterzugeben.

Die Tour des France dieses Jahres lief bereits. Und wieder einmal gab es Spekulationen, ob Armstrong sich wohl pharmazeutischer Mittel bediene, um seine Dominanz aufrechtzuerhalten. Nach seiner Hodenkrebsoperation, so hieß es, könne Armstrongs Körper nicht mehr genug Testosteron produzieren, um den Bedarf zu decken. Gerüchte kamen auf, die UCI habe dem Amerikaner sogar erlaubt, ansonsten streng verbotene Hormonmittel einzunehmen. Um zu beweisen, dass es dafür keine Genehmigung durch den Weltverband gibt, wies Armstrong die UCI an, Journalisten der l’Equipe eine seiner Dopingakten zu übermitteln. Doch anstatt den Meister rein zu waschen und lauthals zu verkünden: „Er ist sauber“, verglichen die Reporter die Codenummer auf der Akte mit der auf den positiven Dopingproben von 1999 und verkündeten: „Er hat gedopt!“ Armstrong konnte nicht ahnen, dass die Dopingproben aus dem Jahr seines ersten Toursiegs auf die Einnahme des leistungssteigernden Mittels EPO untersucht worden waren. EPO über den Urin nachzuweisen, war seinerzeit noch nicht möglich, die Proben waren damals also negativ.

Nachdem sich Leon Schattenberg, der Chefmediziner der UCI, an die Presse gewandt hatte, um mitzuteilen, dass er es war, der die Proben weitergegeben hat, gilt Armstrong gemeinhin als überführt. Der behauptet jedoch weiterhin, nie leistungssteigernde Mittel eingenommen zu haben. Auch sein Freund, UCI-Präsident Hein Verbruggen, kann ihm in dieser Situation nicht mehr helfen. Auf den hatte sich der Amerikaner eigentlich verlassen. Als die UCI ankündigte, nach demjenigen fahnden zu wollen, der Informationen weitergegeben hat, und es gleichzeitig ablehnte, ein Verfahren gegen Armstrong einzuleiten, zeigte sich der vermeintliche Sünder noch zuversichtlich: „Es sieht so aus, als ob der Verband die richtigen Fragen stellt.“

Die Weltdopingagentur Wada pocht indes auf einer verbandsinternen Aufarbeitung des Falls. Wada-Chef Richard Pound hatte am Freitag mitgeteilt, dass die Positivbefunde, von denen in der l’Equipe die Rede war, dem Radsportverband bereits vorlägen. Der hat immer noch nichts unternommen. Bürokratische Probleme seien dafür verantwortlich, so die Reaktion der UCI. Die Direktoriumssitzung des Verbands, die am Dienstag in Madrid beginnt, wird sich nun wohl mit dem Thema befassen. Auch die Rolle Hein Verbruggens wird in Spanien für Diskussionsstoff sorgen.

Dass Armstrong angekündigt hat, nun seine Karriere doch nicht fortsetzen zu wollen, auch das hat mit der voranschreitenden Aufklärung des Falls zu tun. Würde er wieder Rennen bestreiten, müsste er sich den Regularien des Verbands unterwerfen. Ein Sportgerichtsverfahren wäre dann nicht mehr ausgeschlossen. Armstrong spinnt indes weiter an seinen Verschwörungstheorien das französische Volk betreffend, das ihm nur Böses wolle. Jetzt hat er sogar die Vermutung geäußert, jemand habe seine Urinprobe manipuliert. Dass die positiven Urinproben tatsächlich von ihm stammen, zweifelt er also schon gar nicht mehr an. Während seine Exkollegen also noch um die Wette fahren, rudert Lance Armstrong bereits zurück.