Haft wegen Taucherbrille und Murmeln

G20-Prozess Der zweite Angeklagte wegen der G20-Proteste wurde zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Bei ihm wurden Sachen gefunden, die man als Waffen benutzen könnte. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt

Die Kampagne „United we stand“ unterstützt von Repression betroffene G20-GegnerInnen Foto: Axel Heimken/dpa

von Katharina Schipkowski

Ein Teil der Öffentlichkeit musste draußen bleiben: Der Saal war zu klein. Mehr als ein Dutzend JournalistInnen und Interessierte standen am Dienstag verärgert vor den verschlossenen Türen des Staatsschutzsaals des Hamburger Amtsgerichts. Drinnen wurde der zweite Prozess im Rahmen der G20-Proteste verhandelt. Der Richter verurteilte den Angeklagten Stanislaw B. zu sechs Monaten Freiheitsentzug, die er zu zwei Jahren auf Bewährung aussetzte. Der 24-jährige Pole B. saß bereits seit sieben Wochen in Untersuchungshaft. Sein Anwalt kündigte Berufung an.

Die Staatsanwaltschaft wirft B. Verstöße gegen das Waffengesetz, das Sprengstoffgesetz und das Versammlungsgesetz vor. B. war am Samstag des Gipfelwochenendes in der Hamburger Innenstadt von der Polizei kontrolliert worden. Die Beamten, die im Prozess als Zeugen aussagten, hatten den Auftrag, „auffälliges Klientel“ zu kontrollieren, das auf dem Weg zur Großdemonstration „Grenzenlose Solidarität“ sein könnte.

B. hatte einen größeren Rucksack dabei, seine Begleiterin hatte Dreadlocks – für die Polizisten nach eigener Aussage ein Anlass, beide zu kontrollieren. Im Rucksack fanden sie eine Taucherbrille, Feuerwerkskörper, Glasmurmeln, einen Stadtplan mit Treffpunkten für G20-Demonstrationen, Pfefferspray und schwarze Klamotten. Sie nahmen B. vorläufig fest.

Die Murmeln habe er mit einer Zwille auf Polizisten schießen wollen, lautet ein Vorwurf, den die Staatsanwaltschaft allerdings im Laufe der Verhandlung fallen lässt. Festhält sie hingegen an der Auffassung, die Taucherbrille diene als Schutzbewaffnung, zum Beispiel gegen den Einsatz von Reizgas, und stelle damit einen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz dar. Das Pfefferspray polnischer Herstellung sei in Deutschland nicht zugelassen, ebenso wenig die Feuerwerkskörper. B. sei auf direktem Weg zur Demo gewesen, glaubt auch der Richter.

B. beteuert hingegen, er habe nicht zur Demo gewollt, sondern in ein Camp im Volkspark. Dort habe er seine Kontaktlinsen wechseln und gucken wollen, ob sein Zelt noch da sei, weil es zuvor Tumulte und Verhaftungen im Camp gegeben hatte. Er sei bloß als Tourist auf der Durchreise in Hamburg gewesen und habe Freunde in Spanien besuchen wollen, sagte er aus.

„Der eigentliche Skandal ist die Untersuchungshaft. Sie diente nur der Abschreckung“

Jonathan Burmeister, Verteidiger

Da er per Anhalter unterwegs gewesen sei, habe er zur Sicherheit Pfefferspray dabei gehabt. Auch die Taucherbrille und das Feuerwerk erklärte er mit dem Urlaub. Dass die Gegenstände in Deutschland illegal seien, habe er nicht gewusst. Die Glasmurmeln seien ein Glücksbringer von seiner Mutter, die das bestätigte.

Obwohl B. nicht vorbestraft ist, in Warschau studiert und gerade ein Auslandssemester in New Castle absolviert hat, glaubte ihm der Richter nur die Aussage über die Murmeln. Zu der Strafe entschied er sich auch, um einen „generalpräventiven Aspekt“, also eine Abschreckung gegenüber der Allgemeinheit, geltend zu machen.

„Der eigentliche Skandal ist die Untersuchungshaft“, sagt B.s Anwalt Jonathan Burmeister. „Die sollte eindeutig der Abschreckung gegenüber Straftätern dienen, wie mein Mandant keiner ist.“ Zudem sei in keiner Weise erwiesen, dass B. auf dem Weg zur Demo gewesen sei – er wurde 2,4 Kilometer vom Startpunkt entfernt festgenommen, 70 Minuten vor Demobeginn.