Der Sieg eines Wütenden

Die Linkspartei feiert ihren Einzug in den Bundestag – und Oskar Lafontaine. Dieser zitiert Willy Brandt und freut sich über eine Mehrheit links der Mitte

BERLIN taz ■ Als Erstes rief Oskar Lafontaine in die Masse der begeisterten Anhänger der Linkspartei: „Willy Brandt sprach von der Mehrheit links der Mitte – diese Mehrheit ist jetzt da.“ Da stockte einigen, die gerade noch gejubelt hatten, der Atem: War das etwa ein Koalitionsangebot an SPD und Grüne? Also doch Rot-Rot-Grün, was alle drei Parteien vor der Wahl doch noch kategorisch ausgeschlossen hatten?

Zwar bestätigte auch Lafontaine später in Interviews das Nein zu einer solchen Koalition und rief die Linkspartei „Nach Adam Riese“ als Gewinner des Abends aus, doch auf der Wahlparty der Linkspartei vor dem Berliner Schlossplatz überließ er Gregor Gysi, die Spekulationen zu dämpfen: „In der SPD werden einige jetzt nachdenken. Und in ein paar Jahren werden wir die Mehrheit links der Mitte nutzen für eine vernünftige Politik in Deutschland.“ In ein paar Jahren also. Mancher im Festzelt atmete auf. Während die Strategen schon daran dachten, ob und wie Schwarz-Rot oder die Ampel noch verhindert werden können, feierte das Parteivolk ausgelassen. Gregor Gysi gab die Stimmung vor, als er sagte: „Die Bundesregierung ist abgewählt worden und eine schwarz-gelbe Regierung ist nicht gewählt worden!“ Dies sei das Verdienst der Linkspartei. „Die Kopfpauschale ist gestorben, der Bierdeckel von Merz ist gestorben und die 25 Prozent von Kirchhof auch“, so Lafontaine später. Auch das – ein Verdienst der Linkspartei.

Wie heterogen das Bündnis von ostdeutscher PDS und westdeutscher WASG noch ist, zeigte sich sogar im Jubel. „Oskar, Oskar“-Sprechchöre wurden aus einer anderen Ecke des Festzelts mit „Gregor, Gregor“ beantwortet.

In der Tat stellt sich die Frage: Wer ist der Vater des Erfolges? „Diejenigen, die die WASG gegründet haben, brachten den Stein ins Rollen“, sagte Lafontaine.

Andere Spitzenvertreter der Wahlalternative wurden noch deutlicher: „Die WASG hat mindestens den halben Anteil an diesem Erfolg“, sagte Axel Troost, zukünftiger Bundestagsabgeordneter: „Die Linkspartei allein hätte nicht über vier Prozent bekommen.“

Gysi hingegen betonte, die Politik der Bundesregierung, das Engagement Lafontaines und „viele andere Faktoren“ hätten den Erfolg begünstigt.

Das erste Ziel, der Einzug in den Bundestag, ist also erreicht. Das zweite Ziel, drittstärkste Kraft im Parlament zu werden, wurde verfehlt. Ob die Linkspartei noch die Grünen überholen würde, war am Anfang des Abends noch offen. Gregor Gysi sagte voraus: „Ein Teil Dresden wählt erst noch – und dann überholen wir die Grünen ganz bestimmt.“

Getrübt wurde der Jubel allein durch das Ergebnis der FDP. Zwar sind laut Lafontaine alle anderen Parteien „neoliberal“, doch treibt es die FDP bekanntlich am dollsten. Die hohen Ergebnisse der Liberalen lösten bei der Linkspartei Buhrufe und Stöhnen aus. Bodo Ramelow, der Wahlkampfleiter der Partei, beschimpfte die Liberalen: „Die gehören gar nicht in den Bundestag. Nur Angela Merkel hat die wiederbelebt.“

Allerdings gelten sowohl eine große Koalition als auch eine Ampel als günstige Konstellation für die neue Linksfraktion. Besonders in der großen Koalition könnte Lafontaine seine ehemaligen Genossen vorführen, die als kleinerer Partner der Union wieder und wieder in schmerzhafte Kompromisse gezwungen würden.

Wie die Linksfraktion im Bundestag agieren wird, ist noch offen: die Partei führte eigentlich zwei Wahlkämpfe – mit zwei Spitzenkandidaten. Während Gregor Gysi wie eh und je die gekränkte Ostseele streichelte, steigerte sich Lafontaine im Westen immer mehr in seine Rolle als Rächer der Enterbten. Auf den wenigen gemeinsamen Kundgebungen der beiden war ein Unterschied nicht zu übersehen: Gysi setzte auf Charme. Lafontaine auf Wut. Der deutliche Stilunterschied von Gysi und Lafontaine lässt viele in der Linkspartei Konflikte in der neuen Fraktion befürchten, die beide Spitzenpolitiker gemeinsam führen wollen.

Und die Mehrheit jenseits der Mitte, die Lafontaine sieht? Die hat wohl noch Zeit. An einer Mehrheit jenseits der Union aber, daran wurde gestern Abend bei der SPD bereits gearbeitet. Das schwante sogar einigen bei der glücklichen Linkspartei.

ROBIN ALEXANDER