Nachruf auf Anne Dufourmantelle: Das Leben riskiert
Die französische Philosophin Anne Dufourmantelle starb beim Versuch, zwei Kinder im Meer zu retten. Das Risiko war eines ihrer Lebensthemen.
![eine Frau in weißer Bluse gestikuliert eine Frau in weißer Bluse gestikuliert](https://taz.de/picture/2158342/14/Bildschirmfoto_2017-07-25_um_185055.png)
„Der Augenblick der Entscheidung ist ein Wahnsinn.“ Diesen Satz des dänischen Denkers Søren Kierkegaard stellt die Philosophin Anne Dufourmantelle einem ihrer bekanntesten Essays voran. „Éloge du risque“ heißt er, „Würdigung des Risikos“. Er wird eines ihrer letzten Bücher bleiben – und gerade deshalb im Gedächtnis. Vergangene Woche starb die französische Theoretikerin bei dem Versuch, zwei in Not geratene Kinder aus dem Meer zu retten. An diesem Dienstag wird sie bestattet.
Der Unfall ereignete sich in Pampelonne, einem Sandstrand nahe Saint Tropez. Bei starkem Wind und Wellengang waren zwei Kinder beim Baden in Not geraten. Zunächst eine orange, dann eine rote Fahne warnten davor, ins Wasser zu gehen. Anne Dufourmantelle ging trotzdem. „Der Augenblick der Entscheidung ist Wahnsinn“. Während beide Kinder gerettet werden konnten, kam für die 53-Jährige alle Hilfe zu spät. Auch Rettungsschwimmer konnten sie nicht mehr reanimieren.
Mit Anne Dufourmantelle verliert Frankreich eine große Philosophin und Psychoanalytikerin. „Sie half uns zu leben und die heutige Welt zu denken“, twitterte die französische Kulturministerin Françoise Nyssen nach Bekanntwerden des Unglücks.
Schon früh eine Grenzgängerin
Geboren als Tochter eines englisch-schweizerischen Vaters und einer französischen Mutter war Anne Dufourmantelle früh eine Grenzgängerin: Sie verbrachte Teile ihrer Kindheit in Spanien und Mittelamerika, wo ihr Interesse für Exilliteratur und Philosophie erwachte. Es folgten Studien der Medizin und Philosophie in Paris, eine Promotion an der Sorbonne und ein Jahr an der Brown University in den USA.
Für ihre Dissertation „Die prophetische Berufung der Philosophie“ erhielt Dufourmantelle eine Auszeichnung der altehrwürdigen Académie Française. Sie unterrichtete an Elite-Hochschulen in Frankreich und Amerika, arbeitete als Verlegerin und Kolumnistin für die Tageszeitung Libération. Später wandte sich die Denkerin verstärkt der Psychoanalyse zu, schrieb „Die mütterliche Gewalt“ („La sauvagerie maternelle“), „Frauen und Opfer“ („La femme et le sacrifice“) – und „Würdigung des Risikos“ („Éloge du risque“).
„Ich glaube an den Ausdruck ‚sein Leben riskieren‘“, sagte Anne Dufourmantelle noch im vergangenen Jahr im Interview mit dem Radiosender France Culture, „an ein von vornherein ambivalentes Bild (…), das zugleich das Leben und den Tod in sich trägt“. Ihr eigenes Schicksal ruft diesen Glauben schmerzhaft in Erinnerung.
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