ORTSTERMIN: DER FC ST. PAULI LÄSST SEINE TRIBÜNE ZERSÄGEN
: Sonderblock B, Reihe 4, Platz 1

Und dann geht das Tor auf. Endlich. Es sind keine Zuschauer, die knapp drei Dutzend, die da auf die Haupttribüne des Stadions am Hamburger Millerntor drängen: Es wird auch gar nicht gespielt heute. Aber Fans des FC St. Pauli, das sind sie, und sie haben schweres Gerät mitgebracht. Schnell bewegen sie sich durch die Sitzreihen. Haben sie einen Platz gefunden, fangen sie an zu werkeln: Es wird geschraubt, gehämmert und vor allem geflext. Überall sprühen funken.

Normalerweise ist die Haupttribüne, in der es nur Sitzplätze gibt, nicht unbedingt der Ort für diejenigen unter den Pauli-Fans, die sich für die eingefleischtesten halten. Hier sitzen die Sponsoren, die Presseleute, vielleicht noch ein paar Alte – aber vor allem die, die es sich eben leisten können, das Doppelte oder Dreifache für einen Platz zu zahlen. „Sitzen ist für’n Arsch!“, sagt der ehrliche Südkurven-Besucher schon mal über den Haupttribünen-Besucher.

Aber seit kurzem ist eben diese Haupttribüne zur Herzensangelegenheit für die Paulianer avanciert: Sie soll nämlich abgerissen werden. Kommenden Donnerstag kommt die fast 50 Jahre alte Tribüne weg. Macht Platz für eine größere Tribüne, die bis Juli nächsten Jahres errichtet werden soll.

Ties sagt, er schafft es in letzter Zeit nur noch selten ins Stadion. Beruf und Familie. „Ja, und da dachte ich mir, hol ich das Stadion doch einfach zu mir nach Hause, in meinen Partykeller“, sagt er und setzt die Flex wieder an. Drei Meter Sitzbank nimmt er sich mit – für fünf Euro der laufende Meter. „Wo könnte ich bei Live-Übertragungen wohl besser sitzen“, fragt er, „als da drauf?“

Kristin hätte da vielleicht eine Antwort. Sie schweift eine Weile durch die Reihen, bis sie schließlich stehen bleibt: im Sonderblock B, Reihe 4, vor Platz 1. „Genau auf dieser Sitzschale habe ich bei meinem letzten Spiel gesessen“, sagt sie und fängt an zu schrauben. Sie hat nur eine Zange dabei und kommt nicht recht voran, bis ihr zwei ältere Herren schließlich mit dem passenden Achtkantschlüssel aushelfen. 19 Euro und 10 Cent wird Kristin für ihre Schale auf den Tisch legen müssen. Was sie damit anfangen will, weiß sie noch nicht so genau, sagt sie. „Vielleicht mache ich mir eine Lampe raus oder schraube sie auf einen alten Hocker.“

Zwei Männer scheinen einen besonders großen Bedarf an Sitzbänken und schalen zu haben: Sie haben einen benzinbetriebenen Generator dabei und tragen Arbeitswesten. Einer der beiden raucht lässig, während er mit seiner 150er Flex eine Bank nach der anderen umsäbelt. Als der Profi von einem weniger gut ausgerüsteten Fan nach Strom gefragt wird, winkt er ab: Er müsse sich beeilen, sagt er. „Meine Firma sitzt in Bremen. Wir müssen vor Feierabend wieder im Betrieb sein.“ JOHANN TISCHEWSKI