piwik no script img

Modern und innovativ

Kunst Frank Bowlings malerische Auseinandersetzung mit Identität, Herkunft, Heimat, Kolonialismus und Kunstgeschichte im Münchner Haus der Kunst

Frank Bowling, „Philoctetes’ Bow“, 1987,183 x 360 cm Foto: Haus der Kunst

VON Annegret Erhard

„Ich habe erkannt, dass es etwas charakteristisch Schwarzes gibt – wie es auch etwas charakteristisch Schottisch-Irisches gibt – aber keine Black Art. Es gibt klassische Kunst oder Tribal Art, aber keine ,schwarze Kunst’“, postulierte der karibisch-britische Künstler Frank Bowling einmal, ergänzte dann aber: „Ich glaube, die schwarze Seele gehört dem Modernismus. Schwarze sind ein ziemlich modernes und innovatives Volk.“ Dieser gedankliche Spagat beschreibt – fast genüsslich – sein Dilemma, seine Gefährdung in einer ideal-formalistischen, bürgerlich abstrakten Bildsprache zu verharren. Gleichzeitig wird deutlich, dass die künstlerische Verwertung der zeitgenössischen Impulse für einen in den postkolonialen 1950er Jahren aus der Karibik zum Kunststudium in London angekommenen Expats eine – wenn auch exotistische – Herausforderung ist, die mehr verlangt und zu mehr führen kann, als bloße Formalismen.

Der junge Mann, der eigentlich Schriftsteller werden wollte, studierte am Royal College of Art, arbeitete, Ungegenständliches vermeidend, expressiv-realistisch. Das unverkennbare Vorbild war Francis Bacon und dessen übersteigertes Menschenbild; Op-Art-Elemente nach Vasarely fließen ebenso ein wie Barnett Newmans Farbfeldmalerei und Mark Rothkos nachmalerische Abstraktion. Er malt auf der Höhe der Zeit, erhält zum Studienabschluss die Silbermedaille des Royal College of Art ­– die goldene bekommt der Studienkollege und Freund David Hockney mit dem er später auch seine erste ­New-York-Reise unternehmen wird. 1966, da hat er London und dem dortigen Kunstbetrieb schon den Rücken gekehrt, vertritt er Großbritannien auf dem First Festival of Negro Art in Dakar, Senegal. In New York politisiert er sich rasch als schwarzer Brite mit kolonialen Wurzeln, als Mittler und – wieder – als beobachtender Außenseiter in den aufbrausenden Vibes der afroamerikanischen Black-Power-Bewegung. Er wohnt und arbeitet im legendären Chelsea Hotel, bevor er auf Vermittlung seines Freundes Larry Rivers ein Atelier in Downtown Manhattan bezieht, das ihm die Arbeit an großen, bis riesigen, bis monumentalen Formaten ermöglicht.

Kindliche Fantasiereisen

Mit den Arbeiten aus diesem, Ende der sechziger Jahre in New York einsetzenden, Werkzyklus der „Map Paintings“ beginnt die Präsentation von Bowlings Œuvre – entsprechend den schier alles sprengenden Leinwänden in einer großzügigen Enfilade im ersten Stock des Münchner Hauses der Kunst. Die originäre Auseinandersetzung Bowlings mit Identität, Herkunft, Heimat, Kolonialisierung, mit Geschichte, Exil und Familie basiert auf einer quasikartografischen Interpretation. Schlüsselwerk für diesen wichtigen Schritt in unabhängige und selbstreflexive Dimensionen ist „South America Squared“, eine glühend rot bemalte, in Vierecke aufgeteilte Leinwand, in deren Zentrum die Umrisse des südamerikanischen Kontinents gesprüht sind. Figuration und Abstraktion verknüpfen sich in einem narrativen Spannungsfeld. Bowling verweist damit auf seine kindlichen Fantasiereisen angesichts des Erkundens von Karten unbekannter, ferner Länder. Darüber hinaus thematisiert er die Tragödie in sich geschlossener Territorien als vereinzelte und aus dem Kontext der Weltkarte herausgelöste Geografien.

Folgerichtig entdeckt man auch, sobald der Blick über die anderen Gemälde schweift (ein direktes Erfassen der Leinwand ist ob der schieren Größe der Leinwände, bis zu neun Metern, unmöglich), die oft mittels Schablone aufgetragenen, von farbigen Schleiern überzogenen Umrisse seiner Heimatinsel Guyana, von Australien, Afrika und Europa. Es sind imposante Vermessungen der Welt, deren anziehend kühle Farbigkeit gleichermaßen erfrischt und irritiert. Landschaftsdetails werden erkennbar, Vegetation und Flüsse lassen sich imaginieren. Es geht um konkrete und um übergeordnete Werte, aber auch um Überlieferung und Umdeutung. Auf vielen Bildern ist, mal als Siebdruck, mal als rasche Pinselzeichnung das Haus, der Variety Store (einst Kolonialwarenladen) seiner Mutter abgebildet, eine mit Erinnerung, Wehmut, Trotz und Stolz aufgeladene Chiffre seiner Herkunft.

Imposante Vermessungen der Welt, deren anziehend kühle Farbigkeit erfrischt wie irritiert

In den späten achtziger Jahren entstehen fast nur noch Objektgemälde. Die bislang mittels Schütten und Dripping, Farbfluss, Klecksen und collagierten Details orchestrierten, farbsatten Bilder – Favorit ist immer wieder ein ganz spezielles Rosa, das in seinem späteren Werk zu einem sanft gestimmten Violett wird – bekommen nun mit Schaum, Gel, fluoreszierender Kreide, mit Erde und Schlick eine dreidimensionale, experimentelle Qualität, angereichert mit Assemblagen aus Plastikspielzeug, Austernschalen, Stoff und Netzen.

In den neunziger Jahren schwindet das Interesse an seinen riesigen Gemälden, die Museumsankäufe landen meist im Depot. Schwarze Künstler und ihre Werke gelten als larmoyant und anstrengend. Zu politisch. Durch dieses, sich einer intensiven Bilderfahrung widersetzende Raster ist auch Bowling zunächst gefallen, obwohl er sich, wie Zoe Whitley in ihrem Katalogbeitrag schreibt, „immer jeder reduzierenden, betont karibischen Deutung seines Werks widersetzt hat“. Wie gut ihm dies gelungen ist, beweist die derzeitige Wiederentdeckung zu Lebzeiten. Bowling ist jetzt 83 Jahre alt, vor allem die Arbeiten der siebziger und frühen achtziger Jahre wirken frisch, erzählen, ohne geschwätzig zu sein. Später gerät ihm der Widerstand zunehmend zur manchmal bemüht wirkenden Auseinandersetzung mit Materie und Material, Abstraktion wird Camouflage, intelligente, politische, gesellschaftliche Verweigerung verschwindet hinter metaphysischem Pathos. Das wirkt. Mitreißend ist es nicht mehr.

Ein vergnüglicher, in Teilen auch aufschlussreicher Appendix zur Ausstellung ist eine Reihe von Briefen des legendären New Yorker Kunstkritikers Clement Greenberg an den mit ihm befreundeten Künstler („Clem and Frank had drinking and a fascination with women in common“, heißt es in einem Katalogbeitrag). Bowling betrachtete Greenberg ganz offenbar als eine Art Vaterfigur und suchte eifrig seinen Rat, was dem schon auch mal auf die Nerven ging („…You’ll get there in your painting – are already practically there – but you like to be a cry-baby. Just as I like to be cold & selfish underneath my jovial manner …“).

Bis 7. Januar 2018. Haus der Kunst, München

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen