Kann das VorkaufsrechtBerlins Mieter retten?

Wohnen Als Mittel im Wohnungskampf will der Senat das Vorkaufsrecht stärken, heute wird ein Umsetzungskonzept vorgestellt. So funktioniert das Vorkaufsrecht

Das gierige Monopoly-Prinzip, Straßen und Häuser an sich zu raffen, muss nicht im Sinn einer Stadt sein Foto: Michel Gaillard/REA/laif

von Erik Peter

Rot-Rot-Grün will das Mittel des Vorkaufsrechts stärker nutzen. Ein Umsetzungskonzept, das als Leitfaden für die Bezirke dienen soll, wurde am Dienstag vom Senat beschlossen und wird heute der Öffentlichkeit vorgestellt. Erwartet wird, dass in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung eine Stelle eingerichtet wird. Zudem werden wohl zusätzliche Finanzmittel zur Verfügung gestellt, um landeseigene Wohnungsbaugesellschaften bei teuren Ankäufen zu unterstützen. Doch wie funktioniert das Vorkaufsrecht?

Genehmigung: Das Recht für Gemeinden bzw. Bezirke, bei einem Verkauf eines Wohnhauses an die Stelle des Käufers zu treten, ist in Paragraf 24 des Baugesetzbuches geregelt. Möglich ist dies nur in einem der mehr als 40 ausgewiesenen Milieuschutzgebiete in Berlin, in denen der sozialen Verdrängung entgegengewirkt werden soll. Hier muss jeder Verkauf genehmigt werden. Lange haben die Bezirke durch Ausstellung eines „Negativzeugnisses“ auf ihr Vorkaufsrecht verzichtet.

Ausübung: Die Käufer können dem Vorkaufsrecht begegnen, indem sie eine Abwendungserklärung unterschreiben und sich damit den Zielen des Milieuschutzes verpflichten, etwa auf teure Luxusmodernisierungen und Umwandlungen in Eigentumswohnungen verzichten. Ist der Käufer dazu nicht bereit, kann der Bezirk das Haus erwerben, und zwar nicht nur für sich selbst, sondern auch für Dritte wie Wohnungsbaugesellschaften, Genossenschaften oder Stiftungen. Das Vorkaufsrecht kann nur binnen zwei Monaten nach Mitteilung des Kaufvertrags ausgeübt werden.

Preis: Die Gemeinden können das Vorkaufsrecht zum Verkehrswert des Grundstücks ausüben, wenn der Kaufpreis diesen „deutlich“ überschreitet. Diese gesetzliche Möglichkeit ist jedoch umstritten. Zuletzt urteilte das Berliner Landgericht, dass der Vorkauf zum Verkehrswert bei einem Haus in der Großgörschenstraße – der Bezirk setzte den Wert von 7,5 auf 6,3 Millionen Euro herab – nicht rechtens gewesen sei. Der Senat ist gegen das Urteil in Berufung gegangen.

Fälle: In Friedrichshain-Kreuzberg wurde das Vorkaufsrecht bereits sechsmal erfolgreich ausgeübt, jeweils zu dem Preis, auf den sich Käufer und Verkäufer geeinigt hatten: Wrangelstraße 66, Glogauer Straße 3, Zossener Straße 18 und 48, Falckensteinstraße 33 und zuletzt Heimstraße 17. Ein weiteres Haus wurde in der Neuköllner Liberdastraße 10 gesichert.

Ja

Innerhalb eines Monats kauft eine luxemburgische Briefkastenfirma zwei Häuser in Kreuzberg. Beide Male funkt der Bezirk dazwischen und greift zugunsten einer Wohnungsbaugesellschaft selber zu. Die Immobilienhaie stehen mit leeren Händen da. Marktsondierung, Kaufverhandlungen, Ausarbeitung der Verträge – alles umsonst.

Das zeigt: Das Instrument des Vorkaufsrechts funktioniert doppelt: Mieter werden effektiv vor jenen geschützt, die ihre Wohnungen in Luxuseigentum umwandeln wollen. Und Profitmacher werden auf- und im besten Falle abgeschreckt, es wieder zu versuchen. Das gilt für Käufer und Verkäufer gleichermaßen. Letztere – häufig Privatpersonen –, die bislang gewissenlos an die Meistbietenden verscherbelten, sollten sich zukünftig gut überlegen, ob sie das Risiko des Verkaufs zum Höchstpreis eingehen. Greift der Bezirk ein und zieht der ausgebootete Käufer vor Gericht, sehen sie jahrelang kein Geld. Wer ein sicheres Geschäft möchte: Wohnungsbaugesellschaften und viele Hausgemeinschaften stehen bereit.

Mit dem Vorkaufsrecht zeigt der Staat, dass er den Entwicklungen des Marktes nicht machtlos gegenübersteht – allein das ist ein gutes, lang vermisstes Zeichen. Und die ersten sieben geretteten Häuser bewirken schon deutlich mehr. Auf jedes von ihnen kommen zwei bis drei weitere, bei denen Käufer den Vorkauf des Bezirks abwenden, indem sie sich den Zielen des Milieuschutzes verpflichten. Auch das ist effektive Mieterhilfe. Funktionieren kann sie aber nur, wenn die Drohkulisse steht.

Um diese aufzubauen, ist es auch richtig, in Einzelfällen überzogene Preise zu zahlen. Die Abschreckungswirkung ist unbezahlbar. Für die gut ausgestatteten Wohnungsbaugesellschaften bedeutet das im Zweifel nur, auf ein paar Renditepunkte zu verzichten. Das ist verschmerzbar für das Ziel einer bezahlbaren Stadt. In Friedrichshain-Kreuzberg heißt es: Setzt sich die Dynamik der Ankäufe dieses Jahres zwanzig Jahre fort, wären wieder zwei Drittel aller Wohnungen staatlich oder gemeinnützig. Ein Ziel, für das es sich zu kämpfen lohnt. Erik Peter

Nein

MieterInnen, die in letzter Sekunde vor dem Verkauf ihres Hauses an einen Immobilienhai bewahrt werden, weil der Bezirk sich unerschrocken dazwischenwirft: Das Vorkaufsrecht ist ein Instrument der Stadtentwicklungspolitik, mit dem sich gute Geschichten erzählen lassen. Entsprechend hoch ist die mediale Aufmerksamkeit. Weil über jeden einzelnen Fall ausführlich berichtet wird, könnte man meinen, das Land stünde tatsächlich kurz davor, sich die Stadt von privaten Immobilienfirmen zurückzukaufen.

Doch das ist mitnichten der Fall. Das Vorkaufsrecht, so entscheidend seine Anwendung für die betroffenen MieterInnen sein mag, ist in seiner Wirkungsweise begrenzt. Gerade mal in sieben Fällen wurde es bislang erfolgreich eingesetzt. Diese Zahl ist nicht nur Ausdruck mangelnden politischen Willens, sondern hat auch strukturelle Gründe: Die Beschränkung auf Milieuschutzgebiete, aufwendige Verfahren, hohe Kosten – ein massentaugliches Instrument wird das Vorkaufsrecht nie. Doch genau das ist ­nötig angesichts der Mieten­situation, in der Einzelfalllösungen längst nicht mehr ausreichen.

Ist es deswegen falsch, wenn die Bezirke dieses Instrument einsetzen? Nein. Doch der Hype um das Vorkaufsrecht ist dennoch gefährlich, weil er von den wichtigen Fragen ablenkt: Solange auch von den landeseigenen Wohnungsunternehmen erwartet wird, dass sie hohe Renditen erwirtschaften, bleibt der mieterschützende Effekt einer Rekommunalisierung begrenzt – und auch die überzogenen Preise der Vorkaufsrecht-Häuser werden auf die Mie­terInnen umgelegt.

Und: Wer der Spekulation mit Wohnraum tatsächlich etwas entgegensetzen will, statt auf Abschreckung im Einzelfall zu hoffen, muss an einer anderen Schraube drehen. Die Erhöhung der Grunderwerbssteuer und das Verbot von Share Deals, mit denen sich Unternehmen dieser Steuer massenhaft entziehen, müssen kommen. Dazu ist von Rot-Rot-Grün bislang aber erstaunlich wenig zu hören – darüber dürfen auch die schönen Geschichten vom Vorkaufsrecht nicht hinwegtäuschen. Malene Gürgen