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Eindeutig ausbeuterisch

Koloniales Erbe „Der blinde Fleck“ ist die inhaltlich wichtigste Schau der Kunsthalle. Kuratorin Julia Binter stellt den Mythos des edlen Bremer Mäzenatentums infrage

Emil Nolde malt in Afrika: „Zur rechten neben mir lag der Revolver und hinter mir stand meine Frau mit dem ihrigen“ Foto: Nolde Stiftung Seebüll

von Jens Fischer

Kunsthalle, Foyer. Linker Hand lockt flimmernd die große Medienkunst-Retrospektive. Und bescheiden im blinden Fleck der Aufmerksamkeit lädt nach rechts ins düster unspektakuläre Kupferstichkabinett die Abschlusspräsentation einer 18-monatigen Recherchearbeit zur Kunsthallengeschichte. Klingt fade nach Eigen-PR, ist aber die inhaltlich wohl wichtigste Schau in der Geschichte des Hauses. Weil sie wagt, am Gründungsmythos bürgerlich edlen Mäzenatentums zur künstlerischen Bereicherung Bremens zu kratzen, indem die bisher auf Raubkunstprobleme rund um die Nazi-Zeit konzentrierte Provenienzforschung auf den Kolonialismus verlagert wird.

Der hat die Hansestadt als Fixpunkt globaler Ökonomie reich, wenige Bremer Kaufmanns- und Reederfamilien sehr reich gemacht. Einige gründeten den Kunstverein – errichteten zur Feier ihres weltweit ausgebildeten Kunstgeschmacks einen Tempel in den Wallanlagen und beschenkten ihn reich. In der Kolonialzeit kamen die wichtigsten Werke in die Kunsthallen-Sammlung. Ihr Reichtum ist mittelbar auch eine Folge kolonialer Ausbeutung und Sklaverei.

„Der blinde Fleck“ heißt die von Julia Binter kuratierte Ausstellung. Die österreichische Anthropologin hatte in Oxford ihre Doktorarbeit über die Vernetzung der Handelsgeschichte Liverpools mit Kunsthandel und Mäzenatentum unterbrochen, um diesen Zusammenhang mit Geldern der Bundeskulturstiftung in Bremen zu untersuchen. Zudem durchstöberte sie die Kunsthallen-Sammlung nach Beispielen, wie in der Kolonialzeit dem Fremden begegnet und wie er dargestellt wurde. Dass sie nicht nur latent, sondern geradezu apodiktisch mit rassistischen Stereotypen aufwartende Werke fand – kein Wunder. Das sie all das nicht anklägerisch, sondern leidenschaftlich aufklärerisch inszeniert: sympathisch.

Der Kunstverein selbst soll das bei der Vernissage nicht nur goutiert haben, ist zu hören. Derart selbstkritisch transparent zu machen, woher der eigene Reichtum kommt, wird halt nicht überall als Tugend, sondern auch als Bedrohung eigener Lebenslügen angesehen.

Der deutsche Kolonialismus hat eine Vorgeschichte, eine dreißigjährige Blütezeit, ein abruptes Ende im Ersten Weltkrieg und einen Epilog als Gegenstand der Erinnerung, Bewältigung, Wiedergutmachung und Verdrängung. Die Flucht in Exotismus ist im Kupferstichkabinett zu sehen. Eine zweijährige Einkaufstour nach Japan wurde einem Kunsthistoriker vom Norddeutschen Lloyd finanziert. Zu erwerben waren Holzschnitte der Edo-Epoche (1603–1868), also aus der angeblich noch idyllischen Zeit vor der (mit US-Militär) erzwungenen Öffnung des Landes. Die Bremer Auftraggeber wollten sich also explizit nicht per Kunst mit der Realität vor Ort auseinandersetzen, sondern bis zu 300 Jahre alte Bilder zur Pflege ihrer Vorstellungen eines abgeschotteten Inselparadieses nutzen.

Kunst und Touristennippes

Trotzdem musste sich die Kunsthalle schon damals rechtfertigen, ob in einer Sammlung europäischer Drucke japanische Holzschnitte überhaupt „daseinsberechtigt“ wären. Da half der Hinweis, dass Impressionisten von dieser Kunst inspiriert seien.

Alle außereuropäischen Arbeiten, die per Ankauf, Tausch und Diebstahl aus Afrika, Amerika, Asien oder Ozeanien nach Bremen kamen, wurden gleich dem heutigen Überseemuseum gespendet. „Die Primitiven“ in der 1921er-Ausstellung „Kunst Ostasiens und der Naturvölker“ doch einmal in der Kunsthalle zu präsentieren, „jenem Ort, der für die Distinktion europäischer Kultur stand, jagte so manchen Besucherinnen und Besuchern einen gelinden Schrecken ein“, so Binter.

Als Erinnerung stellt die Kuratorin auch jetzt Leihgaben des Überseemuseums aus. Die im Kunstmuseumskontext eben nicht ethnografische Objekte oder Projektionsflächen einer antizivilisatorischen Fantasie, sondern Werke, Kunst, nicht Kuriosum sind und unter ästhetischen Kriterien betrachtet werden. Der Besucher soll weniger staunen denn bewundern. Dazugestellt ist erster Touristennippes. Früh hätten Afrikaner bemerkt, erklärt Binter, was die Europäer aufkaufen – und gezielt etwas in transportabler Größe für diesen Geschmack produziert. Auch satirische Auseinandersetzungen mit Kolonialherren sind zu sehen. „Das Verhältnis von Täter und Opfer ist hier nicht so eindeutig“, so Binter.

Eindeutig ausbeuterisch ist das Verhalten vieler Maler. Sie eigneten sich außereuropäische Formen an, um neue Mittel des eigenen Ausdrucks zu haben. Den Ursprung, etwa afrikanischer Maskenbildnerei, hätten viele Künstler nicht reflektiert und auch bei ihren Reisen nur gesehen, was ihr europäischer Blick sehen wollte, meint Binter. Beispielsweise Emil Nolde im pazifischen Inselstaat Palau. Seine „Männerköpfe“, 1917 vom Kunstverein erworben, zeigen keine individuellen Persönlichkeiten, sondern Typen. Nolde nutze Bildkomposition und das Format anthropome­trischer Fotografien, „die in der Kolonialzeit genutzt wurden, um sogenannte Rassetypen zu bestimmen, ein heute obsoletes Konstrukt“, so Binter. Nolde habe „Urwesen“ malen wollen, die er mit zu erziehenden Kindern und Tieren verglichen habe. Und auch zum Modelstehen gezwungen. „Zur rechten neben mir lag der gespannte Revolver und hinter mir stand, den Rücken deckend, meine Frau mit dem ihrigen, ebenfalls entsichert. Es hat niemals ein Maler unter solcher Anspannung gearbeitet“, notierte Nolde zur Realität seiner Südseeträume.

„Die Primitiven“ doch einmal in der Kunsthalle zu präsentieren, „jagte so manchem einen gelinden Schrecken ein“

Wie sich der weiße männliche Maler mit erotisierendem Blick auf „women of colour“ stürzt, verdeutlicht Binter anhand von Werken Gaugins, Kolbes, Kirchners. Frappant rassistisch das affenähnlich plumpe Standbild „Afrikaner“ von Franz Behn, der in Bremen unrühmlich bekannt wurde durch sein elefantöses Kolonialdenkmal. Zeitgenössisch sind Ngozi Schommers’ fünfzig Kohlezeichnungen von heute in Nigeria, Ghana und Bremen lebenden Frauen – denen glücklich dienende Klischee-Afrikaner auf Kolonialwarenpackungen gegenübergestellt sind.

Sicherung maritimer Handelswege mit Waffengewalt

Ein weiterer Beitrag ist leider nur während einer Stadtführung zu erleben. Der britisch-guyanische Künstler Hew Locke hat eines der Kriegsschiffsmodelle entfernen lassen, die unter der Decke der Oberen Rathaushalle hängen und ja nicht für Freiheit, Gleichheit Brüderlichkeit stehen, sondern für Sicherung maritimer Handelswege mit Waffengewalt. An die Leerstelle hängt Locke ein selbst gebasteltes, betont schäbiges Schiffsmodell mit zerfetzten Segeln. Geschmückt mit Zuckerbäcker-Gips-Stuck, künstlichem Grünzeug, goldfarbenen Plastikapplikationen, Bindfäden, Bremer Schlüssel und Notgeld als Kolonialgedenktag-Werbung. Auch Baumwollsäcke und einige Metallkrieger sind an Bord. „Einerseits ein Schiff des kolonialen Handels, andererseits ein Flüchtlingsboot“, so der Künstler. Eine gelungene Intervention, die den Macht-und-Reichtum-Protz des Saales hinterfragt und aktuelle Migrationsbewegungen als koloniales Erbe vorstellt.

Kunsthallen-Chef Christoph Grunenberg würde das bisher nur geliehene Werk gern ankaufen. Kosten: etwa 100.000 Euro. Dass Mitglieder und Freude des Kunstvereins das finanzieren, ist fraglich. Noch schmerzt die Aufarbeitung der eigenen Geschichte.

„Der blinde Fleck“ ist noch bis zum 19. 11. in der Kunsthalle Bremen zu sehen

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