: Warum sich mein Leben zum Besseren verändert hat
Helfen I Bernd Pickert repariert seit zwei Jahren Spendenfahrräder für Geflüchtete. Und hat jetzt Freunde aus Rakka, Kobane, Damaskus und Kabul
Es war sehr schnell gegangen damals. Am 8. August 2015 wurde der leerstehende Bürokomplex in der Köpenicker Allee in Karlshorst zur Notunterkunft für Geflüchtete. Binnen 48 Stunden entstanden gleich zwei Facebook-Gruppen, die Nachbarn begannen sich zu organisieren, schleppten Kleidung heran und Spielsachen, boten Hilfe an, bauten mit Leuten vom Roten Kreuz Feldbetten auf und verteilten sie auf den Etagen. Mitten in der Nacht klingelte das Handy: Ob man schnell kommen könne, da stünde eine Familie auf der Straße und wisse nicht, wohin, sie würden in der Unterkunft nicht aufgenommen werden. Klar, schick sie zu mir.
Mein Dachgeschoss war über Wochen mit neun Schlafgelegenheiten ausgestattet, mein Tiefkühlfach voll mit Hähnchenbrust und arabischem Brot, dazu Vorräte an neuen Socken, Zahnbürsten und -pasta, Stadtplänen.
Wir fuhren nachts um eins in die alte Stasi-Zentrale in der Ruschestraße, um dort Matratzen auf die Etagen zu verteilen. Es war die Zeit des Staatsversagens, und wir waren unglaublich wütend auf das Lageso und unglaublich stolz, was die Ehrenamtlichen, organisiert über Facebook, Telefonketten und WhatsApp, alles in kürzester Zeit hinbekamen.
Am 18. August fuhr ich zum ersten Mal mit zwei Fahrradtaschen voller Werkzeug in die Köpenicker Allee. Die Idee: eine Fahrradwerkstatt, um Spendenfahrräder zu reparieren und an Geflüchtete ausgeben zu können. Wir hatten auf dem Gelände eine leere Garage mit einem Laubhaufen drin zur Verfügung gestellt bekommen, sonst nix. Die Resonanz war riesig.
Schnitt: Am Freitag nächster Woche feiern wir das zweijährige Bestehen unserer inzwischen voll ausgestatteten Werkstatt. Dazu gehören ein Verleih, eine Frauenfahrradschule, eine Selbsthilfewerkstatt. Viele Kinder aus Syrien, aus dem Irak, aus Afghanistan haben mit uns Deutsch und Schrauben gelernt, haben uns stolz die ersten deutschen Kinderlieder vorgesungen, die sie in der Schule beigebracht bekamen, haben uns vor ein paar Wochen ihre Zeugnisse gezeigt.
Zweimal die Woche haben wir offen, ich verbringe noch immer fast jeden Sonntag dort. Eigentlich sollten die Menschen in so einer Notunterkunft nur maximal drei Monate sein – aber es gibt viele, die wir seit zwei Jahren kennen und die immer noch dort sind. Mit derzeit knapp 700 anderen, mit Kantinenessen, mangelnden sanitären Einrichtungen, viel zu wenig Waschmaschinen. Manche drehen dort durch. Ein Dialog vom vergangenen Sonntag; Mädchen, circa 11 Jahre alt: „Mein Fahrrad ist kaputt, Bremse, Klingel, alles!“ Ich, genervt: „Warum macht ihr immer alles kaputt, ey?“ Sie: „Weil wir auch kaputt sind.“ Manchmal möchte ich mich unter den nächsten Baum legen und heulen. Die Öffnungszeiten der Werkstatt sind auch eine Auszeit von der Langeweile. Wir schrauben und reden, trinken Tee, erfahren Geschichten.
Ich habe jetzt Freunde aus Rakka, Kobane, Damaskus und Kabul. Mit einem eritreischen Musiker habe ich neulich seine Gitarre repariert. Zu etlichen, die irgendwann endlich ausziehen konnten, haben wir noch Kontakt – wir gehörten zu den ersten Deutschen, die sie kennenlernten, die weder Polizei noch Security noch Behörde waren.
Behörden: Niemand verhindert Integration so perfekt wie die. Kommen wir dagegen an? Schaffen wir das? Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass mein Leben sich in den letzten zwei Jahren verändert hat. Zum Besseren.
Bernd Pickert
Der Autor (51) ist seit 1994 in der taz-Auslandsredaktion zuständig für die USA und Lateinamerika.
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