Die Revolution fällt aus

Handelskammer Bundesverfassungsgericht erklärt Pflichtbeiträge für rechtens. Kammerrebellen können Wahlversprechen, sie abzuschaffen, nicht mehr umsetzen

Muss das Verfassungsgerichtsurteil erst mal sacken lassen: Präses Tobias Bergmann Foto: Daniel Reinhardt/dpa

von Sven-Michael Veit

Tobias Bergmann muss jetzt lange nachdenken. Ungewöhnlich einsilbig reagierte der sonst so wortgewaltige Präses der Hamburger Handelskammer am Donnerstag auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die Pflichtmitgliedschaft von Unternehmen in Industrie- und Handelskammern (IHK) für verfassungsgemäß erklärte. Diese und die damit verbundenen Pflichtbeiträge wollten Bergmann und seine „Kammerrebellen“ eigentlich abschaffen.

Die Kammer werde nun in der Diskussion in den Gremien und mit externen Experten klären, „was die Entscheidung für unser Ziel ‚Pflichtbeiträge abschaffen‘ bedeutet“, erklärte Bergmann abwartend auf Anfrage der taz. Immerhin fühle er sich „insofern bestätigt, als die Karlsruher Richter die große Bedeutung von Beteiligung, Pluralität und Transparenz in der Interessenvertretung der IHKs unterstreichen“.

Das ist wohl korrekt, denn das Bundesverfassungsgericht hatte auf Klage zweier Unternehmen aus Hessen und Baden-Württemberg die Organisation der Kammern in Deutschland einer umfangreichen Prüfung unterzogen. Erstmals ging es dabei auch um die demokratische Legitimation. So nahm der Erste Senat die Binnenstrukturen und die Wahlverfahren unter die Lupe.

Im Wesentlichen aber kam das höchste deutsche Gericht zu dem Schluss, dass die Beitragspflicht nicht zu beanstanden sei. Zwar greife die Pflichtmitgliedschaft in die grundgesetzlich geschützte allgemeine Handlungsfreiheit ein, das sei aber gerechtfertigt, wenn damit „die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, ein Gesamtinteresse zu ermitteln, das tatsächlich alle Betriebe und Unternehmen berücksichtigt“, finden die Karlsruher Richter. Das setze voraus, dass abweichende Interessen oder grundlegende Interessenkonflikte auch bei den Wahlen zum Plenum nicht unterschlagen werden.

Im Jahr 1665 wurde die Handelskammer Hamburg als Commerz-Deputation gegründet und ist damit die älteste in Deutschland.

Zur 350-Jahr-Feier im Januar 2015 kam selbst der damalige Bundespräsident Joachim Gauck.

Die Kammer vertritt etwa 160.000 Pflichtmitglieder, die Pflichtbeträge zahlen müssen.

Oberster Repräsentant ist der Präses, seit 2017 der Unternehmensberater Tobias Bergmann (45). Er war 2014 Mitbegründer der oppositionellen Bewegung „Die Kammer sind Wir“. Sie erreichte damals auf Anhieb 13 Sitze in Kammerplenum.

Bei der Neuwahl 2017 errang die Gruppe mit 55 von 58 Sitzen eine überwältigende Mehrheit.

Und eben dafür ist die Hamburgische Handelskammer das beste Beispiel. Bergmann ist Wortführer der „Kammerrebellen“, die 2014 antraten mit dem Vorsatz, die verkrusteten Strukturen in der Handelskammer aufzubrechen. Anfang dieses Jahres gelang ihnen der Durchmarsch: Sie errangen bei der Wahl 55 von 58 Sitzen im Plenum, fast alle altehrwürdigen hanseatischen Unternehmer wurden rausgekegelt. Bergmann wurde der neue Präses und schasste seinen Lieblingsfeind, den langjährigen Hauptgeschäftsführer Hans-Jörg Schmidt-Trenz.

Zentrales Wahlversprechen Bergmanns war die Abschaffung der Pflichtbeiträge, welche die Mitgliedsunternehmen an die Kammer abführen müssen. Stattdessen solle „ein System von freiwilligen Beiträgen“ eingeführt werden, kündigte Bergmann Ende Februar im taz-Interview an: „Dann kann sich ein Unternehmen zwischen einer Basismitgliedschaft und einer freiwilligen, beitragspflichtigen Premiummitgliedschaft entscheiden“, sagte Bergmann.

Diesen Plänen dürfte Karlsruhe nun einen Riegel vorgeschoben haben. Wie lange Bergmann und seine Berater die Urteilsbegründung lesen müssen, um zum selben Schluss zu kommen, ist offen.