Über die Frage, warum Menschen Medikamente in ihre Toiletten und Essensreste in die Gelbe Tonne werfen
: Die Anarchisten der Wertstofftonnen

Foto: Lou Probsthayn

Fremd und befremdlich

KATRIN SEDDIG

Seit Wochen wird die zu meinem Haus gehörige Wertstofftonne nicht mehr geleert. Das liegt daran, dass in dieser Tonne ein ganzer Haufen Müll steckt, der dort nicht reingehört. Glas zum Beispiel, Essensreste, Papier.

Wir haben mehrmals eine Belehrung über die richtige Bestückung der Wertstofftonne in unsere Briefkästen bekommen. Auf der Wertstofftonne steht außen drauf, was in die Wertstofftonne innen reinkommt. Es nützt nichts. Es liegt auch nicht daran, dass die Restmülltonnen voll wären. Da ist immer Platz. Es liegt nicht daran, dass Leute von anderswoher kommen, diese Anderen, Fremden, die sonst immer für alles Böse verantwortlich sind, die können an unsere verschlossenen Mülltonnen nicht ran. Warum also können die Menschen, meine lieben Nachbarn, in die Wertstofftonnen nicht hineintun, was sie hin­eintun sollen?

Es ist nicht meine erste Erfahrung dieser Art. In meiner vorherigen Wohnung gab es eine ältere Dame, die hat immer ihr Altpapier in die Wertstofftonne getan. Wenn ich sie darauf ansprach, schüttelte sie nur mit zusammengepressten Lippen den Kopf, und irgendwann begriff ich, sie wollte mich nicht verstehen. Sie hat ihr Leben lang das Papier in eine Mülltonne getan und wollte sich einem System, das ihr nicht direkt gefährlich werden konnte, nicht beugen.

Ähnlich ist es mit meinen Nachbarn. Sie wollen den Müll nicht trennen, weil sie das können. Sie müssen Steuern zahlen, sie müssen Miete zahlen, zur Arbeit gehen oder sich beim Arbeitsamt melden, aber sie müssen nicht den Müll trennen. Es gibt keine Kamera, die falsche Mülltrennung aufzeichnet, und der Schuldige kann auch nicht verhaftet werden.

Ich habe schon beobachtet, wie ein Nachbar sich grinsend umsah, bevor er einen Sack voll mit triefendem, tropfendem Essensmüll in die Wertstofftonne schob. Ich glaube, es bereitet ihm Genugtuung, dass er Vorschriften überschreiten kann. Hier kann er sich als ein Anarchist fühlen, als ein Gesetzloser, ein mutiger, kleiner Held.

Noch einfacher ist diesem Menschen die Entsorgung seiner Medikamente in der Toilette. Ich habe das oft in Filmen gesehen, wenn ein Mensch von Medikamenten loskommen wollte, oder wenn andere Menschen ihn davor schützen wollten, dann schütteten sie in Filmen diese Medikamente immer in die Toilette und spülten sie runter. Das sollte man der Filmindustrie vielleicht einmal klarmachen, dass das auch Folgen für unsere Umwelt hat, wenn in den Filmen die Medikamente oder auch Drogen in der Toilette runtergespült werden. Die Menschen ahmen das doch nach, dieses theatralische In-der-Toilette-Runterspülen des Hustensaftes, der abgelaufenen Ibuprofen oder ­Antibabypille. Und das läuft mit all dem anderen Wasser in die Kläranlagen.

Das Umweltministerium in Kiel hat ein Projekt in Auftrag gegeben. In acht Kläranlagen Schleswig-Holsteins haben Forscher der Lübecker Universität aktuell Messinstrumente installiert, um herauszufinden, wie hoch die Rückstände der Medikamente am Ende in unseren Seen und Flüssen und auch in unserem Trinkwasser sind, in unserem Fisch auf dem Tisch. Medikamente wirft man nicht in die Toilette. Meine Nachbarn, ich bin mir ziemlich sicher, tun das aber doch. Und wir haben alle solche Nachbarn, die ihren Widerstand auf diese Art ausleben. Sie demonstrieren nicht auf der Straße gegen die Weltpolitik, sie werfen ihre Tabletten in die Toilette.

Mit den Medikamenten ist es übrigens so: In Hamburg gehören sie jetzt in den Hausmüll, in Schleswig-Holstein und Niedersachsen ist es unterschiedlich, man muss sich der Mühe unterziehen, das herauszufinden. Nirgendwo aber sollen sie in die Toilette.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit einem besonderen Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr neuer Roman „Das Dorf“ erscheint im August bei Rowohlt Berlin