Die Freude der Spielverderber

Die Linkspartei genießt den Luxus, sich als einzige Partei nicht mit der komplizierten Regierungsbildung beschäftigen zu müssen

BERLIN taz ■ Glaubt man Gregor Gysi, dann erlebt Deutschland gerade einen Systemwechsel. „Die Zeiten, in denen fünfzehn Minuten nach der Wahl klar ist, wer die Regierung stellt, sind endgültig vorbei“, erklärt der Spitzenkandidat der Linkspartei am Morgen nach der Wahl auf dem Berliner Schlossplatz. Etwas von Dauer habe die Wahlnacht gebracht, findet Gysi: In Deutschland gebe es nun – wie in anderen Ländern in Europa auch – eine etablierte Linke neben den Sozialdemokraten. „Das ist doch interessant“, findet Gysi. Interessanter jedenfalls, als schon vorher zu wissen, welche Politik in den nächsten vier Jahren gemacht wird.

Die Linkspartei reklamiert die allgemeine Ratlosigkeit, die der Wahlausgang bei den großen Parteien hinterlassen hat, als ihren Erfolg. „Klar ist: Ohne uns hätte es Schwarz-Gelb gegeben“, sagt Oskar Lafontaine. Was es stattdessen nun geben soll, ist den fröhlichen Parlaments-Rückkehrern der ehemaligen PDS ebenso egal wie ihren westdeutschen Verbündeten von der WASG – die Linke genießt ihre bequeme Rolle als Spielverderber, beobachtet die verkrampften Annäherungsversuche der Gegner und freut sich über den Luxus, als einzige Partei nicht in nervenaufreibende Koalitionsverhandlungen ziehen zu müssen. Denn an dem „absurden Theater“ wolle man sich in keiner Form beteiligen: Er sei zwar „immer tolerant, ein Schüler von Nathan dem Weisen“, sagt Lafontaine – für Tolerierungen von Sozialabbauparteien sei er deshalb aber noch lange nicht zu haben.

Die Linkspartei ist mit sich im Reinen. Im Westen stärker werden, ohne im Osten zu verlieren: Das war das Ziel der Vereinigung mit der Wahlalternative. Mit 8,7 Prozent bundesweit, teilweise zweistelligen Gewinnen im Osten und dem laut Parteichef Lothar Bisky „besten Ergebnis aller Linksparteien in Westeuropa“ scheint die Mission erfüllt.

Bisky freut sich vor allem über die Gewinne im Westen, wo die Partei mit 4,9 Prozent sogar an der Fünf-Prozent-Marke kratzen konnte. In den neuen Hochburgen Saarland und Bremen, aber auch in Nordrhein-Westfalen konnte die Hürde sogar übersprungen werden. Die Linkspartei gewann 5,1 Prozent und damit exakt zwei Prozent mehr als bei der Landtagswahl im Mai, die PDS und WASG noch getrennt bestritten hatten. Eine Konkurrenz der Parteien soll nun jedoch endgültig der Vergangenheit angehören: Bei den kommenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt will man erneut gemeinsam antreten – allerdings beansprucht die WASG im Westen die Listenführung.

Das gute Ergebnis will die Parteispitze nun schnell dazu nutzen, um auch in Personalfragen schnell für klare Verhältnisse zu sorgen. Parteichef Bisky schlug bereits gestern die Spitzenkandidaten Gysi und Lafontaine als Doppelspitze der neuen Fraktion vor. Eine Frau kommt nicht zum Zug. „Leider waren beide nicht zu einer Geschlechtsumwandlung bereit“, witzelte Bisky. Verzichten will ohnehin keiner aus dem Duo: „Wir haben eine Verantwortung gegenüber den Wählern und können uns deshalb nicht auf den Elefantenfriedhof Auswärtiger Ausschuss zurückziehen“, sagte Gysi.

Stattdessen soll die Fraktion schnell mit konkreter Sachpolitik beginnen. Gesetzesentwürfe zur Abschaffung von Hartz IV und für einen gesetzlichen Mindestlohn sollen ebenso vorgelegt werden wie ein Vermögenssteuermodell. Wie man das im Bundestag durchsetzen will? „Wir müssen die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften und den sozialen Bewegungen stärken“, sagt WASG-Chef Klaus Ernst. „Es muss klar sein, dass die anderen Parteien nicht nur gegen unsere 54 Abgeordneten, sondern gegen Millionen Menschen stimmen.“ KLAUS JANSEN