: Schmeiß die Möbel aus dem Fenster!
Party Klassismus von unten, hört die Signale: Deichkind hatten am Samstag zum Spaßbad für alle geladen. Die ausverkaufte Wuhlheide gab sich dankbar und feierte sich selbst und die Band
von René Hamann
Die S-Bahn war tatsächlich recht textfest. Die Stimmung war angenehm, obwohl man sich in der verschwitzten Enge so nahe kam wie sonst nicht. Und irgendeine Ecke im Waggon fing dann damit an: „Deine Eltern sind auf einem Tennisturnier/ du machst eine Party, wie nett von dir“, und spätestens beim Refrain war die halbe S-Bahn dabei.
Party, irgendwo zwischen Fußball und Karneval, Love Parade und Vorstadtkirmes, viele bunte Gesichter mit vielen Neonlichtern, einiges an Alkohol, aber ging noch, ging noch, und keinerlei Aggression: Deichkind hatten zum Spaßbad geladen, die ausverkaufte Wuhlheide gab sich dankbar und feierte an einem auch vom Wetter her passend guten Sonnabend sich selbst und die Band.
Es gab noch zwei andere Stücke, die den Abend auf eine andere, irgendwie glückselige, in der (vergleichsweise kleinen) Masse aufgehende Ebene hoben. Wann hat man jemals eine Arena erlebt, die Queens „I Want to Break Free“ mitsang, und zwar allerhöchstens so halbironisch und noch bevor der Vorhang fiel und die Bühne frei war? Und wann machte der andere 80er-Schmachtfetzen, nämlich „The Power of Love“ von Frankie Goes to Hollywood, als Sample im Stück „Hört ihr die Signale“, also im Kontext von linkem Hedonismus, der guten Seite von Ballermann und Klassismus „von unten“ so viel Sinn wie hier? Schön war das.
Auch sonst war es schön – der Rahmen war nahezu optimal, das Bier floss in Strömen, die obligatorischen Sicherheitskontrollen an den Eingängen verliefen zurückhaltender, als zu befürchten war, und die von sich aus schwankende Fußgängerbrücke an der S-Bahn-Station Wuhlheide hielt am Ende auch.
Icke & Er aus Spandau spielten ein kurzes, aber wirklich witziges Vorab-Set („Ick brauch keen Hawaii, denn det jefällt mia hier. Ick bleib in Berlin, Berlin is mein Revier“), und Deichkind selbst hatten die Arena recht schnell im Griff, ohne viel tun zu müssen. Ihre Show setzte auf Kulissen und Kostüme, die Musik kam stets aus der Dose, schön vollelektronisch, war aber variantenreich genug, um keine „Ist ja wie auf Platte“-Gefühle aufkommen zu lassen.
Deichkind haben sich nach dem Paradigmenwechsel von Deutschrap zu Elektropunk mit ihrer richtungsweisenden Platte „Arbeit nervt“ (sic, 2008) auch das perfekte System zurechtgelegt, um den selbst gemachten Gute-Laune-Terror zu überstehen. Immerhin ist der Kern der Band im Alter des Rezensenten, also über 40, und damit gut zehn Jahre älter als der Durchschnitt des Publikums. Man könnte sagen: Deichkind haben über die Jahre ein neues, junges, spaßbereites Publikum gefunden (und die alten Hits, „Bon Voyage“, „Limit“ und so, spielen sie in einer Art Potpourri in neuen Versionen trotzdem noch).
Um diesen Dreierkern herum gibt es noch zwei MCs und zwei bis drei weitere junge Männer, die den mittlerweile legendären Spökes veranstalten: das Fass, das Gummiboot, die Bettfedern, die lustigen Hirnhüte, die es auch bei Ikea gibt, die Neondreiecke, die Gitarrenimitate. „Hey, ich spiel bei Deichkind, ich bin der Depp in dem Boot.“
Es gab sogar ein, zwei neue Stücke und die Ankündigung eines neuen Albums; ansonsten war es allerhöchstens etwas schade, dass zwischen all den Party-Krachern und Saufliedern die etwas ausgefeilteren Stücke der letzten Platte zu kurz kamen. „Niveau weshalb warum“, das war schon mehr oder weniger das Programm, dazu wurde die „No sexism, no racism“-Fahne geschwenkt und natürlich das Los des gemeinen Arbeitnehmers beklagt.
Deichkind sind eben auch da noch Punk, wo vielleicht Die Ärzte noch Punk sind, sie sind da, wo sich linke Hausbesetzer mit den vom Alltag frustrierten Bürgerkindern treffen, die sich am Montag schon aufs Feiern am Wochenende freuen. Junge Mittelschicht treibt sich da herum, gern tätowiert, gern im Mark-Forster-Look mit getrimmtem Zehntagebart und Baseballcap.
Dazu, wie bereits oben erwähnt, ein wenig Klassismus von unten, der ja auch „leider geil“ ist: Wir nehmen dein neureiches Elternhaus auseinander, weil wir eben auch Spaß haben wollen (und konsumieren), so wie eigentlich ja alle, also erzähl uns nichts, sondern immer her damit.
„Impulsive Menschen kennen keine Grenzen!/ Schmeiß die Möbel aus dem Fenster, wir brauchen Platz zum Dancen!“, wie auch die gesamte S-Bahn auf dem Weg zurück in die Stadt eben nur zu genau wusste.
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